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In Zeiten von Corona 71; o.T. (Titel gesucht)

In Zeiten von Corona 71; o.T. (Titel gesucht)

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RinaldoG


Premium (World), Immenstadt

In Zeiten von Corona 71; o.T. (Titel gesucht)

Grund- und Mittelschule Blaichach, 21.03.2021
Was fällt euch zu diesem großen, an der Fassade der Schule in Blaichach angefertigten Wandbild ein?
Ich bin gespannt.
(Die weißen Punkte sind Schneeflocken, die zur Zeit der Aufnahme fielen.)

Liebe Wortschmiede, Immenstadt, 25. Mai 2008

mit der Präsentation des von mir ausgesuchten Bildes als Schreibanlass habe ich mir selbst einen Bärendienst erwiesen.

Rund 55 Jahre meiner Existenz stehen auf dem Spiel, rund 55 Jahre stehen der rückblickenden Deutung zur Disposition: Vom Zweitklässler, der die Hefte der sogenannten Hilfsschulklasse seines Vaters korrigieren darf, über den zunächst angepassten, dann anti-autoritären Schüler und Studenten, den Junglehrer, der mit den Schülern paktiert, der andererseits immer wieder sich bemüßigt fühlt zu beweisen, dass er sehr sehr gewissenhaft arbeitet und die Lehrer im Allgemeinen mitnichten nur fürs freie Wochenende und die Ferien leben, im Gegenteil; vom begeisterten, innovativen, kontaktfreudigen Pädagogen, der sich im schulischen Rahmen be-wegt wie der legendäre Fisch im Wasser; vom älteren Kollegen, dessen Kräfte nachlassen, dessen dereinst nahezu grenzenloses Wohlwollen in Routine erstarrt und der mehr und mehr den Eindruck gewinnt, dass unsere Jugend heute mehr als genug des Laissez-faire zur Verfügung hat und Autorität braucht und sucht und nötig hat.
Und dann dieses Fresko, angebracht an der Blaichacher Schule, das so vertrackt widersprüchlich ist und bestens geeignet, Ambivalenzen zu provozieren oder zu reaktivieren.
Im Hintergrund stets die Frage: Welche Rolle spielt die Schule in der Sozialisation? Warum werden aus pfiffigen 6-Jährigen halbwüchsige Null-Bocker? Freude aber auch angesichts einzelner Rückmeldungen, dass die eigene Tätigkeit Früchte getragen hat und sinnvoll war.
Und nach der Pensionierung: Der kleine Schreck des Gegenübers, wenn es erfährt, dass man Lehrer war. Oder aber dieser Rückfall von erwachsenen Menschen, auch von vertrauten, in Verhaltensweisen, die sie vor vielen Jahren ihren damaligen Lehrern entgegenbrachten.

Würde ich noch einmal Lehrer werden?
Trotz vieler schöner Erlebnisse: Nein.


Zurück zum Bild:

Anti-autoritär betrachtet, könnte man wohl sagen, dass hier freie Geschöpfe von einer Organisation eingesogen werden, um schließlich uniform und normiert ins Leben entlassen zu werden.
Das war wohl nicht im Sinne des Malers und der Institution Schule.
Andersherum gibt es auch einen Sinn, und die Pfeile am rechten Rand deuten auf diese Intention hin: Unbeschriebene, in sich gefaltete Blattwesen reihen sich ein auf dem Weg in eine Institution, die sie schließlich voll entfaltet in die je individuelle Freiheit entlässt.

Beide Deutungen befriedigen mich nicht.

Würde ich noch einmal Lehrer werden?
Heute sage ich: Ja. Aber aus anderen Beweggründen als den damaligen.

Und weshalb die Einordnung: In Zeiten von Corona 71?

Wie wichtig ein gut funktionierendes Schulwesen ist, sehen wir in diesen unseren Zeiten.
Wie viel Hilfe und Unterstützung die jungen Menschen brauchen …
Wie sehr sie auf die Kontakte mit Gleichaltrigen angewiesen sind …
Wie viele Lehrkräfte sich engagiert bemühen, den Kindern und Jugendlichen den Weiterweg
zu ermöglichen …
Dass Lehrer Anerkennung verdienen, weil sie zum Teil an ihre Grenzen gehen und darüber hinaus.
Dass Digitalisierung wichtig ist, dass sie jedoch niemals den persönlichen Kontakt ersetzen kann.
Dass den jungen Menschen wieder eine realistische Perspektive vermittelt werden kann.

Würde ich noch einmal Lehrer werden?
Wenn ich jung wäre: JA.

Immenstadt, 05.04.2021




Kommentare 12

  • RinaldoG 5. April 2021, 20:16

    Dieses Wandbild hat mich wieder einmal lange beschäftigt; deswegen hat es auch lange gedauert, bis ihr Feedback bekommt.
    Vor Jahren befand ich mich in einer Schreibgruppe namens "Wortschmiede". Ihr legte ich diese Bild als Schreibanlass vor, mitsamt Begleitschreiben.
    Dieses und meine weiteren Gedanken habe ich in der Beschreibung beigefügt. Rinaldo
  • Martina I. Müller 30. März 2021, 10:26

    Die braven "Schafe" wandern alle ihrem Leithammel nach ... viele kritiklos. Die locker-flockigen Wölkchen täuschen nicht über diese Szenerie hinweg. Wenn das an einer Schule hängt ... ist es hinterfragungswürdig.
    Die junge Generation sollte dort doch lernen, ihren eigenen Verstand schöpferisch zu gebrauchen, um die Gesellschaft voran zu bringen. Dazu müsste es allerdings viel mehr Lehrer geben, die selbstständig vorausdenkende Schüler nicht nur klein halten, um ihre  eigene Ruhe nicht zu sprengen, sondern sie fördern. Davon gibt es in den Schulen immer noch viel zu wenige. Ich kann ein Lied davon singen ... 
    Unsere drei Kinder gehören zu Hochbegabten - da waren die Wege durch das Schulsystem hochkompliziert... ;-) LG Martina
  • crestmike 29. März 2021, 13:24

    Durch zwei Tore musst du gehn
    oder
    Der Schlange entkommen
  • RinaldoG 28. März 2021, 21:04

    Immerhin, Leute: Das Fresko befindet sich großflächig an der Fassade einer Grund- und Hauptschule. Könnte das nicht auch etwas mit unserem Bildungswesen zu tun haben???
  • Pixelknypser 28. März 2021, 18:06

    Jepp das kommt gut+++++Daumen hoch+++VG Ingo
  • Monsieur M 28. März 2021, 16:47

    Kannes sein, dass der Titel des Bildes heißt "Papier ist geduldig"?
    LG Norbert
  • Giorgio Montani 28. März 2021, 15:12

    In genere i murales non mi attraggono molto. Questo direi che ha una caratteristica di originalità!
  • Mannus Mann 28. März 2021, 15:01

    Es wirkt wie eine andere Welt.
    Für dich einen frohen Gruss, Mannus.
  • cabrio2 28. März 2021, 10:04

    Da fällt mir spontan ein Film ein in dem alle Menschen eines bestimmten Alters entsorgt wurden. Die liefen so wie auf dem Bild in eine Entsorgungsanstalt.
    Das Wandbild gefällt mir gut, Rinaldo
    Ich wünsche dir einen schönen Palmsonntag und bleib gesund, lg Anton
  • kristofor 27. März 2021, 23:31

    Es ist schön anzusehen und interessant. Die Schneeflocken passen prima. Eine Bußprozession in Zeiten der Pest? Man könnte auch an KuKluxClan denken...Aber dafür ist das Bild vielleicht doch zu schön...
  • LeBreton 27. März 2021, 22:51

    Einzug der Meinungen, Planungen und Ankündigungen in den Corona-Tempel. Da oben flattern die Hoffnungen. VG Klaus
  • Vitória Castelo Santos 27. März 2021, 21:03

    Gefällt mir sehr gut.
    LG Vitoria