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blind lense


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Sommerträume

...schade, dass die P8 nicht von oben an den in Gleis 42 abgestellten Sonderzug fahren kann. Alle Gleise sind besetzt. Das Rangieren würde zu lange dauern und brächte keinen Zeitvorteil gegen das Umfahren des Zuges im Bahnhof Dahlhausen. Der Zug wird daher auch nicht an die Dampfheizung angeschlossen, da ja sowieso gleich wieder abgehängt wird. Schnell die volle Bremsprobe gemacht und es könnte losgehen, wenn.... ja wenn nicht der Sperrklotz eingefroren wäre. Eine Schaufel mit glühenden Kohlen sollte wohl Abhilfe schaffen. Der Reiseleiter zeigt schon deutliche Anzeichen von Nervosität, als der Zug dann schließlich und endlich im Bahnhof steht. Jetzt brauchte nur noch die S-Bahn abgewartet werden und das Umsetzen der Lok könnte erfolgen. Prompt kommt die nächste Überraschung: Die zweite Weiche im Fahrweg lässt sich nicht stellen. Sie war eingefroren. Somit kann die Lok nicht auf das Umfahrgleis. Wiederum das bekannte Spielchen mit den glühenden Kohlen. Die Nervosität des Reiseleiters erreicht ihren Höhepunkt.45 Minuten sind zuviel für ihn. Er ist der Verzweiflung nahe.

Aber jetzt geht es wirklich los. Mit Langsamfahrt und Halt erwarten zockeln wir aus dem Bahnhof. Typisch, die S-Bahn ist noch vor dem Zug und die hält an jedem Zaunpfahl. Nur gut, dass sie schnell beschleunigt. Aber vor Steele-Ost dauert es doch drei Minuten bevor unser Sonderzug Einfahrt bekommt. Zum erstenmal macht sich die Kälte bemerkbar. Ich ziehe den Vorhang auf meiner Seite zu. Aber viel wird das nicht nutzen. In Essen Hbf gibt es Einfahrt nach Gleis 1. Das ist gut, Gleis 1 ist das Ferngleis und obwohl die Ausfahrt noch nicht gestellt ist, kann es hier nicht allzu lange dauern. Und richtig, nach dem Regionalexpress auf Gleis 2 geht’s sofort weiter. Die Strecke liegt bis Duisburg im Gefälle, da sind schnell die zulässigen 50 km/h erreicht. Die Kälte wird deutlich spürbar, auch mein Heizer, der ja sich häufiger bewegt als ich, zieht den Vorhang zu. Halt in Mühlheim Hbf. Sieht ein bisschen heruntergekommen aus das Ganze. Weiter geht es tendervorraus. Mühlheim-Styrum wird durchfahren. Fast lähmt die Kälte alle Gedanken. Nur den einzig richtigen, den unterdrückt sie nicht. Warum sind wir nicht nach Oberhausen gefahren. Dort hätte der Zug umfahren werden können, und es wäre vorwärts nach Aachen gegangen. In Duisburg steigt der Lotse zu. Eine richtige rheinische Frohnatur. Dicke Daunenjacke und Schutzbrille hat er mit gebracht, offensichtlich ist das nicht sein erster Einsatz auf einer Dampflok. Langsamfahrt ist wieder angesagt, aber nur solange bis der Weichenbereich verlassen ist, dann wieder mit 50 durch den strahlend schönen Wintermorgen. Die helle Sonne wärmt ein wenig das Gesicht. Aber nach Düsseldorf Hbf geht’s rechts ab, da wärmt die Sonne nicht mehr. Sie wird bis Krefeld im Rücken bleiben. Der Lotse ruft die Signale zu und ich bestätige, sobald ich sie auch sehe. In Meerbusch-Osterrath liegen doch schon vereinzelt ein paar Schneeflocken. Die zusteigenden Fahrgäste machen sich und den anderen Hoffnung auf noch mehr Schnee. In der Tat, es nimmt die Anzahl der dunklen Flächen ab und das strahlende Weiß einer verschneiten Landschaft tritt immer weiter hervor. Wasserfassen in Rheydt. Das ist die Gelegenheit für den Lotsen und mich sich, wenn auch nur kurz, die Beine zu vertreten und etwas in Bewegung zu kommen. Der eine geht um die Lok, kontrolliert die Lager, der andere geht zum Speisewagen und besorgt etwas zum schnabulieren. Würstchen mit Brötchen und heißer Kaffee, wer das bei der Kälte ausschlägt, kann nicht recht bei Trost sein. Die Lokmannschaft lässt es sich gut schmecken. Aber die freiwillige Feuerwehr ist viel zu schnell fertig, und mit dem Abfahrauftrag verschwinden der letzte Wurstzipfel und der letzte Schluck Kaffee.

Jetzt gibt es keinen Halt mehr bis Aachen. In einem durch und dabei noch die Rampe bei Herzogenrath/Kohlscheid rauf. Die ist gefürchtet, weil sie in einem durchfahren werden muss, denn Schiebelok is‘ nich‘. Uns ist davor nicht bange. Der Heißener Berg ist steiler, wenn auch nicht so lang. Fast zehn Kilometer zieht sich die Steigung. Mit Schwung und zurückgelegter Steuerung geht es bergan. Wuchtig quillt der Dampf aus dem Schornstein, und der Auspuffschlag dröhnt den Fahrgästen im ersten Wagen hinter der Lok in den Ohren. Jetzt werden auf den Fluren der Wagen die Fenster aufgerissen und die Köpfe der Eisenbahnfans schauen heraus. Der Zug hängt schwer an der Lok und die Steuerung wird um 5 Zähler höher gestellt. Mein Heizer schwingt die Schaufel. Was eben noch als weißer Dampf aus dem Schornstein kam, sieht jetzt schmutzig grau aus. Als sei die P8 heiser und müsse sich den Berg hochhusten, so ächst die Maschine. Bloß nicht ins Rutschen kommen, denken wir drei auf der Lok. Aber der Zug rennt förmlich die Rampe rauf. Die Hälfte ist schon geschafft. Schaufel um Schaufel verschwindet das schwarze Gold in der Feuerkiste. Ich brauche Dampf und nochmals Dampf. Zähler um Zähler wird die Steuerung vorgelegt. Nur nicht langsamer werden. Aber das ist fast unvermeidbar. Zehn Kilometer Höchstleistung für Maschine und Heizer fordern ihren Tribut. Bei 1:100 sind vierhundertfünfzig Tonnen mit 50 km/h für die P8 hart an der Grenzlast. Die Steuerung liegt bei 55 %. Doch in Kohlscheid ist der Berg überwunden. Das Handy des Lotsen meldet sich. Eine SMS erscheint im Display: „Jungs, das war Spitze!“

Aachen-West kündigt sich an, gleich ist’s geschafft. Am Einfahrsignal von Aachen Hbf zeigt das Vorsignal „Halt erwarten!“ Wir sind angekommen. Ein leichtes Frösteln macht sich wieder bemerkbar. Während des Rennens über die Rampe ist keinem die Kälte bewusst geworden. Selbst wie hoch hier der Schnee liegt, ist uns gar nicht aufgefallen. Bis der Zug in die Abstellgruppe kann, vergeht noch etwas Zeit. Reichlich viele Reisenden drängen sich um die Lok. Es scheint als wolle man sie, wie ein braves Pferd, streicheln. Der Zugführer meldet sich über Funk. Die Rangierfahrt ist erlaubt. Der Zug kann nach Gleis 60 in die Abstellgruppe. Ein langer Pfiff und ein kräftiger Auspuffschlag lassen die Bahnhofshalle erzittern. Langsam rollt der immerhin aus acht schweren D-Zugwagen bestehende Lindwurm aus der Halle in Richtung Abstellgruppe.

Einmal noch sägen, dann kann sich auch die P8 ausruhen. Die Schläuche zum Wassernehmen werden ausgerollt und der Hydrant geöffnet. Wir kommen langsam zur Ruhe. Ein älterer Herr mit einer Videokamera erscheint. Der Lotse begrüßt ihn freundlich, sie kennen sich offenbar. „Jungs ihr seid gefahren wie die jungen Götter!“ mit diesen Worten kommt er auf die Lok. Das klingt angenehm in unseren Ohren. Als sich im weiteren Verlauf des Gespräches herausstellt, dass diese Worte von einem ehemaligen P8 Lokführer, der die Rampe jeden Tag gefahren ist, stammen, da macht sich bei mir und dem Heizer doch etwas Stolz breit. Als der ältere „Kollege“ noch im aktiven Dienst auf der P8 war, gab es noch keine Videokameras. Seinem Wunsch nach Bildern aus allen Bereichen der Lok, vor allem aber vom Führerstand, wird natürlich gerne entsprochen. Übrigens stammte die SMS-Botschaft an den Lotsen von ihm.

Wir buttern erst mal. Jetzt ist es hinter dem Vorhang sogar richtig angenehm. Bis die Ablösung kommt, ist noch reichlich Zeit. Die wird genutzt, um die Lok zu restaurieren. Der Sandvorrat wird ergänzt, die Lok noch abgeschmiert und die Kohle vorgeholt. Drei bis dreieinhalb Tonnen haben Zugheizung und die Fahrt von 160 km geschluckt. Die Rückfahrt geht mit dem Rest an Kohle aber problemlos, da reichlich Gefälle vorhanden ist. Die Ablösung erscheint. Für uns ist jetzt Feierabend.

Wenn auch das Foto nicht so ganz zur Erzählung paßt, dieses Video ist von dem netten alten Herrn mit der SMS-Botschaft an unseren Lotsen. Da sieht man doch deutlich, zu welchen Leistungen eine gut gepflegte P8 fähig ist.

http://youtu.be/R94CP4ZOYXo

Kommentare 7

  • FlugWerk 19. September 2012, 14:46

    Wow, das ist erstens kreativ und zweitens hochgradig informativ, klasse. lG Tina
  • blind lense 22. August 2012, 15:01

    Schönen Dank für eure Anmerkungen. Zur Bildbearbeitung noch ein kleiner Zusatz. Ich habe meist nur kleine Veränderungen vorgenommen, die im allgemeinen nicht der Rede wert sind. Das liegt einfach daran, daß ich zwar seit Urzeiten fotoshop 5 besitze, aber ich habe nie die Zeit gefunden, mich intensiv mit diesem Programm zu befassen. Aber jetzt wo ich selbst sehe, was man so "zaubern" kann, habe ich sogar richtig Lust auf mehr bekommen. Ich brauche nur Zeit um zu lernen.

    Zusatz für Andreas. Eine BR 53 gibt es nicht, auch wenn Borsig mal eine Mallet als solche BR in Plänen schon fertig hatte. Als die DB ihr neues Nummernschema einführte, gab es noch so viele 50er, daß man die Tausenderstelle einfach hinter die 5 setzte. Nach Reichsbahnschema wäre das 50 3075-4.
  • IC524Rheinland 22. August 2012, 14:48

    Bei dem netten Anblick wünscht man sich gerne den Winter zurrück.
    Aufnahme+Geschichte=super! Anbei: Was ist eigentlich der höchste Prozentsatz der eingestellt werden kann bzw auf der Skala steht?
    Grüße
    tim
  • † Ingeborg K 21. August 2012, 23:21

    Eine sehr schöne Bearbeitung des Fotos hst Du hier präsentiert. Ich versuche, die Geschichte später noch mal zu lesen, damit ich auch was davon behalte.
    LG Ingeborg
  • BR 45 21. August 2012, 14:52

    Hallo Heinz
    Schönes Bea-Foto von der "Wannen-50er" aber die Geschichte ist noch besser.
    Da fährt "Mann" hinter Dir im Führerstand mit aber man friert nicht.
    Klasse - weiter so!
    Grüsse, Max der Plagwitzer
  • Andreas Pe 21. August 2012, 13:30

    Die Geschichte ist ja hier eindeutig der Hauptbestandteil. Aber auch das Bild gefällt mir in dieser Bearbeitung sehr gut, zumal eine 53er nie in meinem Wirkungskreis aufgetaucht ist.
    VG Andreas

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Kamera DMC-LZ5
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