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Wartezeit in Tiszalök

Wartezeit in Tiszalök

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Holm Riebe


kostenloses Benutzerkonto, Bad Schandau

Wartezeit in Tiszalök

Ich weiß nicht wer uns eingeredet hat, daß es sinnvoll ist die Zeit immer mit Tätigkeiten auszufüllen, man muß es nicht und vielleicht macht es sogar krank. Als ich auf den kleinen Bahnhof in Tiszalök kam um zu sehen wann ein Zug fährt, saß er schon da, der alte Mann, auf der Bank unter der Platane. Es war heiß, schon am Morgen flimmerte die Luft, wie immer am Rande der Puszta. Der nächste Zug kam in anderthalb Stunden. Es ärgert mich noch jetzt, daß ich mir sein Gesicht nicht eingeprägt habe, zu fotografieren traute ich mich nicht, ich weiß nur, daß er ein gelbes Hemd trug, so ein Gelb wie die Zitronenfalter im Frühjahr haben und daß er zwei von den gewebten Plastebeuteln dabei hatte, wie man sie in Ungarn gern zum Einkaufen benutzt. Er saß auf der Bank und tat nichts und er sah die Zeit wie sie verging und sie verging in dem Schatten mit einem ganz lauen, kaum wahrnehmbaren Lüftchen, denn es war ihre Aufgabe zu vergehen und sie wußte es.
Als ich vom Kaffee trinken aus dem Ort kam war er weg, dafür waren die beiden Triebwagen da, ich denke er saß nicht in dem nach Görögszállás sondern in dem nach Debrecen, der fuhr mitten durch die Puszta, Tiszavasvári, Tedej, Hajdúnasás und so weiter. Vielleicht wohnt er auch in Haidúvit mitten in der Puszta. Es wäre das Foto gewesen, der alte Mann auf der Bank mit dem Bzmot-Triebwagen, so hatte ich mir das jedenfalls gedacht. Aber vielleicht sollte ich sie alle mal aufsuchen, die kleinen Pusztabahnhöfe und warten auf die Züge die zwar pünktlich kommen aber nicht oft, das wäre ein Urlaub, die Hitze und die Leere des Lichts auf den verlassenen kleinen Bahnhöfen, aber am Ende würde man wissen was Zeit ist und wie sie wirklich beschaffen ist, wenn man sie nicht sinnlos ausfüllt mit Tätigkeiten.

Kommentare 7

  • Lutz68 11. Dezember 2009, 22:56

    AundU.Schmidt....Schweißausbruch...Dann setze Dich erstmal gemütlich auf die Bank rechts und spann mal aus...
  • AundU. Schmidt 22. Juli 2009, 9:04

    Schöne Szene, toller Text.


    Nur leider krieg ich vom Hinsehen schon einen Schweißausbruch ... ;-))

    LG Uwe
  • Krebs 21. Juli 2009, 16:07

    Da glaube ich doch jetzt tatsächlich, Du hast bissel den Literaturstiel der alten Österreich-Ungarischen K&K-Monarchie einfließen lassen. Höre ich da, zwar ganz entfernt, Haseks Schwejk raus, oder den meisterlichen Erzählstil von Jiri Marek? Auf alle Fälle wieder so eine wunderbare Einheit von Foto und Prosa, die nur Friedemann noch so beherrscht.
    VG Peter
  • myoxus 21. Juli 2009, 12:24

    Schoenes Foto + Geschichte - Im oestlichen Europa hat man eben noch Zeit fuer die wichtigen Momente des Lebens!
    Viele Gruesse aus Uzhgorod!
    Friedemann
  • Thomas Reitzel 20. Juli 2009, 23:01

    Passend zur Uhrzeit haben mich Deine Zeilen eingestimmt auf die Nacht und darauf, Dinge gelassener zu nehmen und nicht immer in Aktioniusmus zu verfallen.
    Mir kam bei Deiner Schilderung auch der Tramp/Cowboy in den Sinn, der im wilden Westen (im Film) an einem verlassenen Gleis sitzt und wartet. Gleiches Thema: Geduld!

    ach ja: Zum Bild: Wo würde man in unseren Breiten denn noch alte Bäume auf dem Hausbahnsteig finden?
    Ich nehme an, man wußte genau, warum man sie gepflanzt hatte!
    Gruß
    Tom
  • Weltensammler 20. Juli 2009, 22:15

    Eine nachdenkliche Geschichte in einer hektischen Welt. Es geht auch anders, wie wir lesen. Beruhigend. Danke für's Schreiben!
    VG vom Weltensammler
  • Klaus Kieslich 20. Juli 2009, 20:44

    Eine wunderbare Präsentation ,mir gefällt besonders die Geschichte zum Bild
    Gruß Klaus