I nimmermehr l


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Hackenporsche

Sie hatte ihn überlebt, auch wenn ihr Mann noch kurz vor seinem Tod gemeint hatte:
„Mit deinen Knochen werf ich noch die Äppel von den Bäumen!“
Aber schon im November ging es ihm gar nicht gut, und der Hausarzt hatte ihr wenig Hoffnung gemacht, dass sie das Weihnachtsfest gemeinsam erleben würden. An einem grauen Dezembertag wurde auch Alwine Wegemann zur Witwe, wie so viele in der Straße. Eigentlich gab es nur Herrn Ortwig, der nun allein in dem kleinen Häuschen am Wendekreis der Sackgasse wohnte. In den anderen Häusern der Straße lebten alleinstehende Frauen.

Wenn Alwine am Morgen das Haus verließ, dachte sie oft, dass es so still geworden sei. Früher hatte das Geschrei der Kinder das Singen der Vögel übertönt. Jetzt zankten die diebischen Elstern ungestört auf der Straße herum, selten unterbrochen von einem Auto, das vor einem der Häuser hielt. Alwine bekam allerdings nie Besuch. Ihr einziger Sohn war vor Jahren nach Kanada ausgewandert, und außer ihr wusste lediglich der Postbote, dass sie noch Angehörige hatte, denn manchmal schrieb der Junge und erzählte Dinge von einem Leben, das Alwine fremd war.

Sie hingegen war immerzu damit beschäftigt, ihre eigene Welt vor dem Untergang zu bewahren. Ein fester Tagesablauf schien ihr wichtig zu sein, weshalb sie Tag für Tag, bei Regen und bei Sonnenschein, um die gleiche Uhrzeit ihren Gang in die Stadt machte, auch wenn sie gar nichts einkaufen und erledigen musste.

Manchmal traf Alwine Bekannte, die Gemeindeschwester etwa, und dann hielt sie einen Moment inne in ihrem Lauf,
der eine gewisse Sinnlosigkeit hatte, jedoch unabdingbar für das Wohlbefinden der alten Frau war.

„Wenn der Sommer kommt, dann besuchst du uns“, hatte der Sohn in seinem letzten Brief geschrieben. „Vielleicht gefällt es dir, und du bleibst ganz da.“ Was er sich nur dachte? Sie kannte jeden Stein hier, und einen alten Baum verpflanzt man nicht. Die gewohnte Umgebung gab ihr Sicherheit und das Gefühl, geborgen zu sein in den Erinnerungen. Sie hatte davon mehr als genug und suchte keine neuen. ... und schon gar nicht brauchte sie
eine neue Sprache. „Hackenporsche!“ Welch ein Wort! Gestern hatte es der Bursche, der für Herrn Ortwig den
Rasen mäht, benutzt, als er sie aus dem Gartentor treten sah.

Unwirsch zog Alwine ihre beräderte Einkaufstasche die Straße hinauf. …
.....................................................
Ich „klebe“ das Bild nun in das Foto-Geschichten-Buch

Mona Lisas Foto-Geschichten-Buch
Mona Lisas Foto-Geschichten-Buch
MONA LISA .

Wer sich dazu äußern möchte, kann das gerne hier (oder auch dort unter dem Bild) tun.
Vielen Dank für das Interesse!
:-)

Kommentare 24

  • † Foto-Volker 27. Dezember 2019, 16:41

    Bei Schnee und eis bekommt der Hackenporsche Kufen!
    VG volker
  • Günter7 27. November 2019, 22:49

    Klasse, eine Geschichte die zum Nachdenken anregt.
    Tja, wieviel Jahre haben wir noch bis dahin......
    • MONA LISA . 27. November 2019, 23:35

      Wir werden sicher auf eine andere Art alt, als die Generation unserer Eltern, aber manche Dinge bleiben ... z.B. die kleinen Zipperlein, die schwindende Kraft ... und ja, auch, dass man vielleicht alleine bleibt nach einer langen gemeinsamen Zeit mit einem Partner.
      Aber die modernen Medien (Fluch und Segen zugleich) machen doch vieles leichter ... auch den Kontakt mit der Außenwelt.
      :-)
    • Günter7 27. November 2019, 23:45

      Ja, den Kontakt zur Außenwelt nutzen wir ja jetzt schon über die neuen Medien, was mich begeister.
    • MONA LISA . 27. November 2019, 23:54

      Ich benutze ja nicht mal ein Handy, aber ohne das Tablet oder den Computer kann ich nur im Urlaub auskommen ... und da vermisse ich es dann auch nicht.
  • Ruth U. 26. November 2019, 20:06

    Ich kenne es auch unter dem Begriff "Hackenporsche" und bin froh, dass ich son Ding (noch) nicht brauche ... als Skulptur finde ich das außergewöhnlich, oder hast Du der Dame das Ding hingestellt?
    • MONA LISA . 26. November 2019, 20:23

      Nein, die war so. Das ist das Schöne an dieser Ausstellung "Alltagsmenschen". Es sind einfach ganz normale Gestalten, wie man sie auf der Straße eben so treffen kann.
  • Mira Culix 22. November 2019, 16:59

    Auch Rentnermercedes genannt.
    Und wenn in Schmallenberg der Winter kommt, bleibt das Gefährt eh im Schnee stecken. Da soll sie echt lieber reingehen und sich Essen auf Rädern kommen lassen.
    • MONA LISA . 22. November 2019, 17:02

      Och, "Rentnermercedes" kannte ich noch nicht.
      Man wird ja nicht dümmer, wenn man unter die Leute geht. ... oder wie meine Tante selig immer sagte:
      "Man wird alt wie ne Kuh
      und lernt immer noch dazu!"
      :-)
  • Runzelkorn 22. November 2019, 16:05

    Ich finde es gemein, daß da jemand die arme Alwine einfach so auf die Platte gebannt hat und die dann auch noch fest am Boden verschraubt. Jetzt wurde der Hackenporsche zum Dauerparker, und Alwine kommt auch nicht mehr vom Fleck. Und das im November. Aber immerhin, ihr Haus wird jetzt frei - zum dreifachen Preis, versteht sich.
    • MONA LISA . 22. November 2019, 16:07

      Mach dir keine Sorgen. Vor dem Winter schrauben sie das Alwine noch ab, weil ihr Betonkörper nicht winterfest ist .... und in Schmallenberg weiß man, was Winter ist, woll! :-))
    • Runzelkorn 22. November 2019, 16:14

      Die Schmallenberger sind wintererfahrene Leute. Und das, obwohl das Wetter ja in Calle-Wallen gemacht wird.
    • MONA LISA . 22. November 2019, 16:26

      Echt? Nun, das muss der Pastor da sicher in dem Dömchen absegnen ... obwohl unser "Dom" bestimmt größer ist!
      Ach, gönnen wir's ihnen! Was will man in solchen Gegenden auch sonst schon groß machen.
      :-))
    • Runzelkorn 22. November 2019, 17:58

      Also früher sind die Sauerländer mit ihren Autos gegen Bäume gerast.
  • Klacky von Auerbach 22. November 2019, 15:24

    Gut. daß Alwines Mann erst nach Anbruch des Dezembers gestorben war, das hat er, fürsorglich wie er immer war, bestimmt so eingerichtet, da bekam er nämlich noch die Weihnachtsgratifikation, wenn auch geschmälert, weil schon in Rente, aber immerhin.
    Da versüßte ihr seinen Tod, denn nun konnte sie alles alleine vernaschen und mußte von den Süßigkeiten nix abgeben.
    • MONA LISA . 22. November 2019, 16:09

      Du bist ja doch ein Leckermäulchen!
      Ist noch reichlich früh, aber merk dir vorsorglich den Termin für einen geschmeidigen Abgang ... dereinst! :-))
  • Dorothee 9 22. November 2019, 13:07

    Und so mürrischte sie Tag für Tag vor sich hin. Sie lebte sozusagen ihre Zeit ab. Bis eines Tages sich auf einmal alles änderte. Und zwar zum Guten. Zum Besten.
    • Dorothee 9 22. November 2019, 13:42

      Aber ich habe es selber schon bei jemanden erfahren, dieses abgeschlossen haben mit dem Leben. Nicht depri oder traurig sein, sondern offen und zufrieden, so wie es ist, ist es.
    • MONA LISA . 22. November 2019, 13:56

      Nein, diese Geschichten zu den Betonpuppen sind immer einfach so wie Momentaufnahmen. Sie heißen ja "Alltagsmenschen" ... und was mir gerade so dazu einfällt, schreib ich auf ... ein kurzer Blick auf ihr Leben, so aus meiner Sicht.

      ... und ja, ich erlebe das recht häufig in meinem Umfeld. Diese Dame, die jetzt 99 wird, ist zwar geistig noch recht gut dabei, aber wenn du so alleine übrig bleibst, dann ist es irgendwann nicht mehr so erbaulich. Da kommen diese Gedanken, dass es genug ist, wohl von selbst.
    • Dorothee 9 22. November 2019, 14:02

      Alle wollen es werden, keiner will es sein.... irgendwann ist es halt so weit. Wir unterhielten uns ja schon mal per Fotomail etwas über dieses Thema. Trauer ist gut und wichtig, sollte aber nicht das ganze restliche eigene Leben bestimmen. Ich bin dankbar, dass ich noch nicht gestorben und gesund bin und (einigermaßen) gelassen dem Leben gegenüberstehe .
    • MONA LISA . 22. November 2019, 16:10

      Ja, Alt sein ist nichts für Feiglinge ... aber wir sind ja noch fit wie der Turnschuh selbst ... auch wenn ich mir über deine Füße schon so meine Gedanken mache!! :-))