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Oliver Schiebek


Premium (World), Düsseldorf

Der neue Mieter

Schon seit einiger Zeit verdiene ich mir etwas nebenher, indem ich Schneckenhäuser vermiete. Der Aufwand hält sich in Grenzen, und wenn man sich die Mieter im Vorfeld gründlich auswählt, ist die ganze Sache fast schon ein Selbstläufer. Bis auf den Tag, als ich eines meiner Wohn-Objekte vor einer Neuvermietung besichtigen wollte.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich den Einsiedlerkrebs, der forsch aus einem meiner Schneckenhäuser schaute.
„Ich wohne hier“, antwortete er frech.
„Das kann nicht sein“, erwiderte ich entrüstet. „Du hast keinen Mietvertrag mit mir abgeschlossen.“
„Noch nicht!“, antwortete das Schalentier. „Aber ich bin durchaus interessiert. Kann es sein, dass es hier kein fließendes Wasser gibt? Das wäre für mich ein Ausschlusskriterium.“
„Doch, natürlich.“ Ich legte das Schneckenhaus näher ans Ufer, so dass es regelmäßig von der leichten Brandung umspült wurde.
„Besser so?“, wollte ich wissen.
„Ganz okay“, sagte der Krebs. „Mir ist nur ein wenig bibbrig!“ Er schlotterte. „Zentralheizung ist wohl nicht vorgesehen?“
„Alle meine Schneckenhäuser verfügen über Zentralheizung!“ Flink zündete ich das vorbereitete Lagerfeuer am Ufer an.
„Warm genug?“ Das Feuer verbreitete eine angenehme Wärme und der Einsiedlerkrebs hörte auf zu zittern.
„Das gefällt mir! Aber die Deckenhöhe im Hinterzimmer ist etwas niedrig. Das zählt doch nur zur Hälfte bezogen auf die Wohnfläche, oder?“ Er sah mich schielend an.
Ich zwängte mich ins Schneckenhaus und maß mit dem Zollstock nach. Der Einsiedler kontrollierte jeden meiner Handgriffe genau.
„Ja, du hast recht“, räumte ich ein. „Das ziehe ich vom Quadratmeterpreis ab. Aber würdest du bitte aufhören mich so anzuschielen? Mir wird ganz schwindlig dabei.“
„Ich schiele doch gar nicht“, sagte der Krebs beleidigt.
„Doch, tust du!“
„Nö, tu ich nicht!“
Ich zückte mein Handy und machte ein Foto zum Beweis.
„Und was ist das hier?“, fragte ich, als ich ihm das Foto zeigte.
Der Einsiedler sah schielend auf das Display: „Wer ist denn der zweite Krebs auf dem Foto? Ich will keinen Untermieter, hast du mich verstanden?“ Ich rollte genervt mit den Augen.
„Hat der Balkon eigentlich Südlage?“ Er sah sich kritisch um.
„Jetzt ja!“ Ich drehte das Häuschen schnell in die entsprechende Himmelsrichtung.
„Und was soll der ganze Spaß nun kosten?“
„Also, mit den ganzen Annehmlichkeiten ist es natürlich nicht ganz billig…“, antwortete ich.
Doch der Einsiedlerkrebs und ich wurden uns schnell handelseinig und seitdem wohnt er glücklich und zufrieden in meinem Schneckenhaus…

Kommentare 3

  • Karlchen Karl 10. Dezember 2023, 0:37

    Das Licht und die Schärfe gefallen mir hier ganz besonders.
    ..entzückend ...Deine Geschichte zum Bild..;-)
    Gruß Karin
  • PeLeh 8. Dezember 2023, 17:51

    Vielleicht sollte man das Konzeot auch der Regierung vorschlagen, damit mehr Wohnraum zur Verfügung steht.....
    Ein schönes Bild und eine klasse Geschichte.
    Einen schönen Abend und viele Grüße
    Peter
  • Karl G. Vock 8. Dezember 2023, 14:34

    Den kritischen Neubewohner hast Du sehr gut abgelichtet.

    LG
    Karl

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Kamera NIKON D200
Objektiv 105.0 mm f/2.8
Blende 11
Belichtungszeit 1/200
Brennweite 105.0 mm
ISO 400

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