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Harte Zeiten in Budapest

Harte Zeiten in Budapest

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Harte Zeiten in Budapest

Nur das milliardenschwere Hilfspaket (20 Mrd. €) von Seiten der EU, IWF und Weltbank konnte Ungarn im vergangenen Monat vor dem Staatsbankrott retten. Doch wie lange kann dies so gut gehen? Antworten auf dringende gesellschaftliche Fragen scheint man im ungarischen Parlament schon lange nicht mehr zu haben – übrigens kein Einzelfall in Europa. Aber im Vergleich der Haushaltsdefizite (10%) ist Ungarn schon seit 2006 führend. Reformen und Sparmaßnahmen sollten die Rettung bringen. Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány kündigte sie mit den Worten an: „Es wird nicht weh tun“. Doch die einfache Bevölkerung steht dem ratlos und desillusioniert gegenüber. Seit September 2006 stieg der Gaspreis um durchschnittlich 30 Prozent, der Strompreis um 10 bis 14 Prozent. Krankenversicherungsbeiträge, Einkommensteuer und Mehrwertsteuer erhöhten sich ebenfalls. Immer mehr Menschen in der ungarischen Bevölkerung müssen den Weg der Armut bestreiten. Diese Zeichen sind auch in der ungarischen Metropole Budapest nicht zu übersehen.
Es spiegelt sich in den abgekämpften Gesichtern im Linienbus, der zunehmenden Anzahl von Obdachlosen in der Budapester U-Bahn. In die Essensausgabe am Blaha Lujza tér mischen sich immer mehr Rentner. Alte Männer mit Plastiktüten unterhalten sich mit alkoholrauer Stimme. Romafrauen in neongelben Westen fegen die Gehwege. Vergeblich, gegen das Grau von Budapest können sie nichts ausrichten. An den Fassaden der Gründerzeithäuser nagt der Zahn der Zeit. Der Asphalt ist aufgeplatzt und in den Pfützen spiegeln sich die grauen Gesichter der Verlierer des schnellen Geldes.
In der ungarischen Hauptstadt ist es zu spüren, etwas ist in Europa in Schieflage geraten.
Zwar spiegelt sich Budapest nachts immer noch majestätisch glitzernd in der Donau, und dann meint man, es zu hören: das leise Geklapper des Geschirrs in den Caféhäusern der 20er Jahre, in denen sich Weltbürger, Schriftsteller und Intellektuelle trafen. Doch im Morgengrauen vergeht der Glanz. Die blätternden Fassaden und die Löcher in den Straßen werden sichtbar. Die ersten grauen Gestalten hetzen zur schlecht bezahlten Arbeit – froh dass sie noch eine haben. Alte Frauen, die, mit der Sorgfalt schamhafter Armut gekleidet, in den Unterführungen kleine Sträuße aus Gartenblumen verkaufen. Der tägliche Überlebenskampf hat wieder begonnen, denn es sind harte Zeiten in Budapest.


Das Foto zeigt das Ungarische Parlament in Budapest und ist vom Juli 2008.

Andere Bilder aus der ungarischen Metropole:



BUDAPEST …
BUDAPEST …
myoxus

Kommentare 13

  • shenanigan87 19. Januar 2010, 22:50

    Du sprichst mir aus der Seele! Und ich glaube klarer und kompakter als du hat es bisher noch keiner formuliert...

    Bin gebürtiger Budapester, und habe schon zig mal den nur allzu offensichtlichen Kontrast zwischen dem dortigen Leben, den dortigen Verhältnissen, und denen hier in Deutschland erlebt. Oft höre ich so viel schlechtes vom dort, dass ich mein Glück kaum fassen kann. Es reicht schon, die Lebensgeschichte meiner Mutter und ihrer Schwester zu vergleichen, letztere wohnt immer noch in Kecskemét, wo sie geboren wurde.

    Einerseits bin ich zutiefst betrübt, wenn ich mir ansehe, was jetzt aus Ungarn geworden ist. War es doch einmal eines der fortschrittlichsten Länder der Welt, mit der ersten U-Bahn auf dem Kontinent, und einer Fülle von technischen Innovationen und Erfindungen. Nur wissen eben die wenigsten, dass sie von Ungarn entwickelt wurden... Aber jetzt ist das Land vollkommen am Ende, ich weiß ganz ehrlich nicht, ob wenigstens die Hauptstadt einmal zu ihrem alten Ruhm zurückfinden wird.

    Ich könnte noch ewig über dieses Thema schreiben, aber leider hindert mich die Bandage an der rechten Hand doch etwas am Tippen. Es war jedenfalls sehr interessant, deine Meinung zu der Hauptstadt lesen zu dürfen.

    Soma
  • Ilse Jentzsch 20. September 2009, 23:05

    Ich komme gerade aus Ungarn zurück und kann von daher Deinen einleitenden Text nur bestätigen. Budapest habe ich nur ganz kurz besucht, mein Ziel war Süd-Ungarn zur serbischen Grenze hin. Und da ist die Armut erschreckend. Aber auch im umtriebigen Budapest habe ich Obdachlose fotografiert, einen z.B. der direkt am Straßenrand auf dem Gehweg lag und der, so schien es mir, überhaupt nicht beachtet wurde, er wurde als eine Selbstverständlichkeit angesehen.
    Für Deine Anmerkung unter der "Kathedrale von Kalocsa" danke ich Dir.
    Es grüßt Ilse
  • Murdoch Campbell 18. Mai 2009, 13:26

    Ich mag deine Serie von Budapest. Ja es stimmt dass es zurzeit harte Zeite in Ungarn gibt. Ich war 1970 in Budapest und zweifellos kann ich mitteilen, diese Zeit war wirklich hart, nicht nur wirtschaftlich aber auch menschlich hart und ohne Hoffnung. Wie du gesagt hast, diese Fotos spielgen deine Erinnerung und Gedanken. Trotzdem das Staat fast bankrott ist, hoffentlich war deine Erfahrung in die wunderschöne Stadt Budapest grossartig.
    lg, Doc
  • CsomorLászló 23. Dezember 2008, 20:46

    Nagyon szép esti kép!
    üdv
    CsL
  • Hans-Reiner Bohn 20. Dezember 2008, 7:54

    ... wirksamer ist Kritik kaum möglich!
    Gratulation, reiner
  • Steffen Froehlich 17. Dezember 2008, 23:33

    Etwas rauscht der schwarze Himmel. Aber mir gefaellt es trotzdem so richtig gut!!! Diesen Blick kenne ich auch von einer Durchreise, und es ist sehr schoen, mit Deinem Bild daran erinnert zu werden.
    Viele Gruesse!
  • Andreas Richter 2 17. Dezember 2008, 20:33

    Eine schöne nächtliche Ansicht von Budapest zeigst Du uns hier!
    Doch das ist es nicht was mich bewegt hat.
    Deine Worte spiegeln nicht nur eine starke emotionale Bindung zu dieser Stadt, sondern auch die Sorge um die Probleme unserer Tage.

    Viele Jahre ist es her, als ich als 18jähriger Bengel, mit Rucksack und Kamera zum Schwarzen Meer trampte . In Budapest tat sich mir eine nie gesehene Welt mit weltstädtischem Flair auf. Ein Eindruck der mir bis heute gegenwärtig ist. Wie das so ist mit Jugenderinnerungen. Sicher auch ein Grund warum mir deine Gedanken und eindrückliche Schilderung nahe geht.

    Auch ich möchte mich für das Gezeigte und vor allem für Deinen eindringlichen Text bedanken.

    Viele Grüße Andreas

  • Editha Uhrmacher 17. Dezember 2008, 20:03

    was für eine grandiose aufnahme,
    aber der text dazu macht mich einfach traurig. es sind schlimme zeiten und ich mag gar nicht daran denken wie es weiter geht mit der welt.
    danke friedemann für die ausführliche und zum nachdenken anregende info.
    lg editha
  • Hartmut Sabathy 17. Dezember 2008, 19:55

    eine sehr schöne Nachtaufnahme vom Parlament in Budapest, und Stimmungsbericht was sich nun alles so in Ungarn in Schieflage befindet.. grüße hartmut
  • Bruno Marinari 17. Dezember 2008, 19:47

    Molto bello++
    Ciao, Bruno.
  • Andreas Geertz 17. Dezember 2008, 18:59

    Echt tolles Bild. tolle Farben, schönes Lichtspiel.
    gefällt mir sehr gut.
    Gruß
    Andreas
  • A. Lötscher -Bergjäger- 17. Dezember 2008, 18:45

    Ein Traumbild mit einem Beschrieb der für die Bevölkerung zum Alptraum werden könnte.
    Harte Zeiten werden nicht nur auf die Bevölkerung von Ungarn zukommen, sonder auf viele andere Länder auch noch. Es haben dies nur noch nicht alle Politiker erkannt.
    LG Bergjäger
  • | Heike | 17. Dezember 2008, 18:25

    Ich war vor 13 Monaten das erste mal in Budapest - leider nur über ein verlängertes Wochenende.
    Wenn ich Deine Worte lese, sind es genau die Eindrücke, die bei mir haften geblieben sind. Trotz der kurzen Anwesenheit. Du schreibst Worte, die mich beim Lesen fesseln. Höchst informativ gepaart mit hoher Emotionalität Deiner Wahrnehmung. Wie schön, daß es Menschen wie Dich hier in der fc gibt, die noch dazu ehrliche qualitativ gute Bilder zeigen.
    Es ist so wichtig, sich kritisch mit Dingen auseinanderzusetzen - nur das tun hier leider so wenige...
    Wenn alles klappt, besuche ich die Stadt im 1. Quartal 2009 wieder und ich werde sicher dabei an Dein Geschriebenes denken.
    Danke dafür.
    lg von Heike

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