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Reichsbahn-Alltag...

Reichsbahn-Alltag...

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Thomas Jüngling


Premium (Pro), Quedlinburg

Reichsbahn-Alltag...

...waren all diese Loks einmal.
Heute sind es Exponate, die ein paar mal im Jahr aus dem Lokschuppen geholt werden, damit Familien mit Kindern bei ihrem Sonntagsausflug mal was geboten bekommen. Die Erhaltung der Eisenbahngeschichte geht den meisten Besuchern einer Lokomotivausstellung jedoch eher am Allerwertesten vorbei. „Da stehen halt’n paar Loks, die können wir uns ja mal anschauen, wenn mir schon in der Nähe sind“. Dazwischen laufen dann noch einige „alte Hasen“ herum, die den Dampfbetrieb noch selbst erlebt haben und in Fachsimpeleien vertieft völlig den Blick für ihre Umwelt verlieren. Da ist dann das neuste Märklin-Modell Thema, welches auf die Niete genau mit dem Original verglichen wird, oder man spricht über „die gute alte Zeit“.
Eine dritte Gruppe sind dann die heranwachsenden Eisenbahnfans, die bis an die Zähne bewaffnet mit Kompaktkameras und manchmal auch etwas Hochwertigerem zwischen den Gleisen herumkriechen, und dabei von den „Alten“ stets etwas belächelt werden. Die drei Gruppen können sich untereinander selten Leiden – jeder ist der Meinung, dass ihm der andere im Bild steht. Ergebnis sind dann liebevolle Rufe wie „Geh’ mir aus dem Licht“, „Verpiss dich“ oder „Kauf dir `ne Holzeisenbahn“. Wie nett!
Nun ja, ich persönlich zähle mich zur dritten Gruppe, zur Gruppe der Novizen, und befasse mich bei solchen Veranstaltungen gern mal damit, wie sich die Leute untereinander behandeln...und ich staune immer wieder. Außer der großen Liebe, die unter den Besuchern solcher Veranstaltungen herrscht ist mir noch was anderes aufgefallen: Die erfahrenen Alten, die einen durchaus wichtigen Erfahrungsschatz haben, werden immer weniger. Der Anteil der „Ahnungslosen“ wird immer größer – Eisenbahnveranstaltungen verkommen zum Volksfest, haben mit lebendiger Geschichte nur noch wenig zu tun. Wenigstens sichern die Eintrittsgelder den Unterhalt der Loks. Das Engagement der Vereine vermag diesem Trend leider nur wenig entgegenzusetzen – die Eisenbahn ist für die Jugend uninteressant, bei einem großen Teil der Bevölkerung hat die Bahn ein relativ schlechtes Image...wo soll das enden?

Ich weiß, diese Sichtweise ist jetzt etwas unromantisch, aber einige werden mir sicher Recht geben, besonders, wenn sie etwas jünger sind.

Zum Foto: Es entstand am 16.09.2006 im Bw Cottbus mit der EXA 1b. Ich habe alles, was irgendwie auf eine aktuelle Aufnahme hindeuten könnte abgeschnitten, weshalb das Bild diesmal auch etwas kleiner ist, und habe es leicht getönt.

Bw Cottbus, Anno 1989
Bw Cottbus, Anno 1989
Thom@s Jüngling
„Kann der Junge nicht den Kopf von der Schiene nehmen...?!“
„Kann der Junge nicht den Kopf von der Schiene nehmen...?!“
Thom@s Jüngling

Kommentare 12

  • Gert Schüler 1. Juli 2013, 2:05

    "die Eisenbahn ist für die Jugend uninteressant, bei einem großen Teil der Bevölkerung hat die Bahn ein relativ schlechtes Image...wo soll das enden?" ... die Vereine, die zB. alte Dampfschiffe am Leben halten, haben konkret das Problem, daß sie keine Sponsoren mehr finden, da die Sponsoren lieber in die "Jugend" investiert als in einen Rentnerclub, der Dampfrösser und -schiffe pflegt. Das hat man mir auf dem Tonnenleger Bussard während der Dampfrundum in Flensburg erzählt.
  • BRIEM-PHOTOGRAPHY 17. Januar 2007, 17:23

    KLASSE
    LG Frank
  • Thomas Jüngling 26. November 2006, 21:23

    Ach, das liegt aber mehr daran, dass sich mancher seinen eigenen Sinn zusammenspinnt. Ich halte es aber mal für sinnvoll, über den Tellerrand der Fotografie, sprich die bloße Technik und das bloße Motiv, hinwegzuschauen. Fotos sind Darstellungen von Menschen für Menschen - warum also nicht mal über den Menschen diskutieren? Meinungen sind verschieden, und wenn eine Diskussion auf die Probleme der Gesellschaft abrutscht, dann ist das doch ein Zeichen dafür, dass der Mensch an fremden Meinungen interessiert ist.
    Es lässt sich wirklich leben, die paar Hirnis, die auf diesem Planeten herumlaufen, darf man einfach nicht zu ernst nehmen...im Grunde will doch keiner Konflikte haben, egal welcher Art.
  • Ralf Göhl 26. November 2006, 11:02

    @Thom@s, jetzt hast du da weiter geschrieben wo ich keinen Aufsatz schreiben wollte.
    Möchte das ausgeführte gar nicht ausweiten, oft wird das geschriebene Wort falsch ausgelegt.
    So ist es mir lieber darüber zu sprechen meinen Gegenüber in die Augen sehen zu können.
    Nur eins noch, ich habe keinen Grund mich zu beklagen bin zufrieden und es geht mir gut.

    Ralf

  • Thomas Jüngling 25. November 2006, 21:44

    Hallo Ralf, ich wollte hier keinesfalls zu sehr verallgemeinern, Menschen sind verschieden. Und hier in der Fotocommunity kann man Gott sei Dank viele altgediente Eisenbahner finden, die ihre Erfahrung weitergeben möchten, die auch die Jugend unter ihren Bildern mitdiskutieren lassen und stets sachlich-fachlich Informationen geben, auch mit hilfreichen Anmerkungen - du bist einer von ihnen, wofür ich bei dieser Gelegenheit meinen Dank aussprechen möchte.

    Das Problem der Gesellschaft lässt sich am besten mit dem Wort "Ellenbogengesellschaft" charakterisieren, jeder boxt sich durch so gut es geht, der Schwächere verliert und wird von der Gesellschaft ausgegrenzt...jetzt beginne ich zu weit zu gehen, ich denke es ist verständlich, was ich sagen möchte.
  • Ralf Göhl 25. November 2006, 19:58

    Thom@s, auch ich sage mit schmunzeln da ist viel wahres dran.
    Mal richtig Dampf ablassen, doch so ist es nun mal sicherlich nicht nur beim Hobby Eisenbahn.
    Will nicht politisch werden die gesellschaftlichen Umstände werden immer bescheidener mit Auswirkungen auf die Menschen.
    Du kannst nur versuchen das Beste daraus zu machen.
    Ich möchte mich selbst nicht in ein Gruppe hier einteilen, dass überlasse ich euch.
    Noch was, ich bin im Leben auch auf der Lok gut mit den Leuten ausgekommen.
    Damit immer gut gefahren wie es so heißt, selbst als Nichtgenosse in der DDR.
    "Wie man in den Wald hinein ruft ......"
    Aber auch unter den Lokführern gab es solche und solche.
    Ach was es genügt, einen Aufsatz wollte ich nicht schreiben.

    Ein schönes Wochenende wünscht allen Ralf

  • Thomas Jüngling 25. November 2006, 16:04

    Jahaaa Steffen, ich weiß was du meinst! Meist ältere Herren, dir ihr Gerümpel wie Brieftasche und Potmonee, manchmal auch ein Fläschchen Bier, mit sich herumschleppen und mit leerem Blick an den Exponaten vorbei und den Fotografen vor der Linse herum latschen.
    Es ist doch lustig, immer sind es dieselben Personenstämme, die man zu Gesicht bekommt.

    Den gemeinen "Handyfotografen" (Photographus Mobiltelephonus), der sich mehr und mehr etabliert hatte ich auch noch vergessen zu erwähnen - wobei der eher eine Unterart der "Novizen" oder der Laien ist...
    Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?! *gg*
  • Steffen°Conrad 25. November 2006, 15:51

    Die Bearbeitungsstufe " Reichsbahn" ist Dir ganz gut gelungen-
    über Deine einleitenden Worte könnt ich mich kugeln-
    genau diese Sorte Menschen hüpfen auch um unsere alten Straßenbahnen herum-
    dazu kommt noch die Spezies:STOFFBEUTELTRÄGER... na Du weist schon was ich meine ;-))

    Gruß Steffen
  • Thomas Jüngling 25. November 2006, 12:19

    Ich bedanke mich für eure Anmerkungen und Ansichten!

    @ Ralf: Ich habe das Bild extra so bearbeitet, es war zwar so schon recht grau, aber ich wollte ein richig trübes "Alltagsbild" erschaffen, das schon einge Jahre in der Schublade verbracht hat und deshalb etwas ausgeblichen ist. Ich weiß nur nicht, wann man den Lokschuppen umgebaut hat, diese Glasfassaden sind ja nicht von Anfang an da gewesen, was man an den Seitenwänden des Lokschuppens gut sehen kann (auf diesem Bild nun leider gerade nicht).

    @Anja: Da hattest du wahrscheinlich Glück, dass du an einen Alt-Eisenbahner geraten bist, der etwas für die jüngeren Fans übrig hatte. Ich habe letztens in Finsterwalde beim Besuch der 18 201 (der Lokführer selbst ist einer von DEN alten Hasen) einen DB-Eisenbahner mittleren Alters kennengelernt, der auch sehr gern ein kleines Fachgespräch mit mir und meinem 15 Jahre alten Kumpel führte, er zeigte uns sogar die am Bahnhof befindliche Eisenbahn-Schule, mit mechanischem und elektrischem Stellwerk und Signalen in der Außenanlage. Wenige Wochen später traf ich ihn wieder - als Lokführer auf dem Führerstand der Cottbuser 35 1019-5, der offensichtlich auch was für den Nachwuchs übrig hatte. An diesem Tag entstand auch das hier gezeigte Foto.
  • Ralf Großkopp 25. November 2006, 12:04

    Ach ja..., treffender Aufsatz Thom@s.
    Ich lichte bei solchen "Ereignissen"auch gern die eifrigen Ablichter ab. Da gibt´s ja welche unter den "Fans", da hätten Soziologiestudenten stundenlang Anschauungsmaterial...
    Das Bild ist zwar was flau, die Schöneweider 8177 ist aber gut zu erkennen... :-)
    vG Ralf
  • Anja Pfeifer 25. November 2006, 0:52

    hmmmm - ich bin eindeutig gruppe 3.
    aber hab bisher immer festgestellt, daß bei den doch noch recht oft auftretenden alten hasen (die sich zwar auch tarnen) nach den ersten verdutzten fragen "sie machen das aber professionell oder?" (antwort: nö - nur für mich), einem fast hoffnungsvollen "ah - sie dokumentieren die lok bestimmt?" (antwort: nö - ich find die dinger einfach nur schön, interessant und beeindruckend) freude und begeisterung auftaucht, daß sich jemand heute neu für diese alten maschinen interessiert. da kann es passieren, daß man 2h in osnabrück im regen steht und ein halbes eisenbahnerleben erzählt bekommt, nach museumschluß noch eine sonderführung incl. werkstatt erhält ...

    manchmal entdeckt man auch - beim zwischen den gleisen herumpirschen - jemanden gleichen alters, der auch diesen suchenden blick in den augen hat ...
    schlimm sind jedoch die der gruppe 1, die ohne rück- und vorsicht auf irgendwen und irgendwas - incl. der eigenen kinder - fotohandyknipsend überall rumstehen, -gehen und manchmal auch fallen...

    und die liebsten sind mir eine kleine gruppe - das sind diejenigen, die oft auch "bekamerat" sind, ahnungslose Laien über den unterschied zwischen publikumswirksam fahren und dampflok fahren können aufklären und zum 200. mal erklären, das eine alte maschine kein spielplatz ist. diejenigen, die eine fast vergangene zeit wieder lebendig machen - sei es über erzählungen und alte bilder oder unzählige stunden arbeit - und es so schaffen, ein leuchten in die augen von großen und kleinen kindern zu zaubern.

    dieser letzten gruppe möchte ich danken dafür, daß sie das bewusstsein für etwas bewahren, daß ein teil unserer geschichte ist.
  • manfredowitsch 24. November 2006, 23:08

    sehr schön geschrieben, da ist viel wahres dran, thomas!