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Aufgleisung einer Neubaudampflokomotive 1996

Mit der Einführung des Heißdampfes 1906 fand in Deutschland der letzte große Entwicklungsschub im Dampflokomotivbau statt. Er wurde durch die großartigen Länderbahnlokomotiven, die später unter der Baureihenbezeichnung 18 (und 19) zusammengefasst wurden, in Punkto Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit (und Schönheit) gekrönt. Die Entwicklung der Einheitslokomotiven erfolgte aus anderen Gründen und ergab keine wesentliche Leistungserhöhung mehr. Versuche in dieser Richtung mit den Baureihen 05, 06 und 45 haben keine dauerhaft befriedigenden Resultate ergeben, da eine Vergrößerung der indirekten Heizfläche durch Verlängerung der Kessel, tw. mit zusätzlicher Heraufsetzung des Kesseldrucks, sich nicht als betriebstauglich erwies.

Im Ausland gab es da weniger Stagnation, wie der geniale Lokomotivkonstrukteur André Chapelon in Frankreich bewies. Obwohl er in Frankreich nie die Gelegenheit bekam, eine vollkommene Neukonstruktion zu bauen, drang er allein durch Umbauten und Verbesserungen vorhandener Lokomotiven in Leistungsbereiche vor, die sonst in Europa nie erreicht wurden, wie z.B. die 242 A 1 mit weit über 6000 PS Kesselleistung. Deutsche Ingenieure haben in den dreißiger Jahren die Baugrundsätze Chapelons demonstrativ nicht zur Kenntnis genommen. Zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit entwickelten die italienischen Ingenieure Attilo Franco und Piero Crosti den durch Rauchgase vorgeheizten zusätzlichen Speisewasservorwärmkessel. Franco-Crosti-Lokomotiven der Reihen 741 und 743 waren in Italien noch bis Mitte der siebziger Jahre im Einsatz. Weiterhin erwähnenswert ist der 1951 von dem österreichischen Ingenieur Dr. Adolph Giesl-Gieslingen entwickelte Giesl-Ejektor, der durch einen verbesserten Saugzug eine höhere Energieausnutzung des Brennstoffs ermöglichte.

Die Neubaulokomotiven der DB erhielten zur Erhöhung der Leistung und der Wirtschaftlichkeit immerhin noch eine Verbrennungskammer, doch innovative Neukonstruktionen gab es nicht mehr. Die BR 10 war ein einziger Kompromiss und blieb letztlich im Leistungsbereich der altbewährten 01.10. Die BR 66 kann als gelungen bezeichnet werden, doch sie kam 1955 zu spät und konnte aufgrund ihrer Einsatzbestimmung keine größere Aufmerksamkeit mehr erregen.

Glücklicherweise gab es, als in Europa die Dampftraktion endgültig zu Ende ging, die genialen Köpfe von Livio Porta und David Wardale. Livio Porta entwickelte in Argentinien neue Baugrundsätze für Dampflokomotiven, wie eine neue Saugzuganlage (eine Kombination von Giesl-Ejektor und Kylchap-Saugzuganlage), verbesserte Kolben und Schieber (um mit noch weniger Füllung und damit mit mehr Expansion fahren zu können), strömungsgünstige Dampfzuführungen und die Kohlevergasung (mit welcher die Fa. Interlok in jüngster Zeit wieder Versuche gemacht hat).

David Wardale in Süd-Afrika übernahm diese Baugrundsätze und schuf 1981 aus der Klasse 25 NC, von Henschel 1953–1954 geliefert, den legendären "Red Devil". Diese Lokomotive überzeugte durch Wirtschaftlichkeit und die für eine Schmalspurlokomotive enorme Leistung von über 4500 PS. Beiden Konstrukteuren war es – wie André Chapelon – nicht vergönnt, eine Neukonstruktion zu schaffen, und sie konnten lediglich durch Umbauten älterer Lokomotiven die Leistungsfähigkeit moderner Dampftechnik beweisen.

Hier tritt der schweizer Dipl.-Ing. Roger Waller auf den Plan, der 1992 unter der SLM in Winterthur eine völlig neukonstruierte Zahnraddampflokomotive vorgestellt hat. Besonderes Augenmerk wurde auf die Wirtschaft- und Umweltverträglichkeit gelegt, und es entstand eine Dampflokomotive mit Leichtölfeuerung, die in den Emissionswerten tw. unter denen eines Dieselmotors liegt. 1992 wurden je eine Lokomotive an die Brienzer Rothorn Bahn (BRB), die Bergbahn Montreux-Glion-Rochers-de-Naye (MGN) und die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) geliefert. Die guten Erfahrungen mit den Lokomotiven führten bisher zu fünf Nachbestellungen. Roger Waller firmiert inzwischen unter http://www.dlm-ag.ch.

So fand ich mich im zeitigen Frühjahr 1996 – aus mir bis heute noch nicht ganz zugänglichen Gründen – in einem kleinen "Expertenteam" bei der SLM in Winterthur wieder! Die 52 8055 war in Arbeit (Fotografieren war nicht erwünscht) und Dipl.-Ing. Roger Waller hielt einen Vortrag über seinen Erfahrungsaustausch mit Livio Porta und David Wardale, sowie die Technik und Zukunft der modernen Dampflokomotive. Die Auslieferung der Lokomotive Nr. 14 für die BRB stand an, und das Team reiste per Zug über Luzern nach Brienz.

Lokomotive 14 erhielt im Winter 2009/2010 eine Komplettrevision und ist seitdem wieder im Einsatz. Da sich bei der Brienz Rothorn Bahn gezeigt hat, dass der Einsatz von Dampflokomotiven das höchste Fahrgastaufkommen garantiert, wird angestrebt, über 90 Prozent der Züge mit Dampftraktion zu fahren. Jede Saison soll mindestens jeweils eine Dampflokomotive aus der Lieferserie von 1891/92, 1933/1936 und 1992/96 eingesetzt werden. Die Diesellokomotiven 9, 10 und 11 werden bei Bedarf und Verkehrsspitzen eingesetzt.

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Kommentare 9

  • Y.Takatsu. 6. November 2015, 15:05

    a very interesting and attractive pic. ....like it.
    BR
    Y.Takatsu. Tokyo Japan
  • Thomas Reitzel 29. August 2012, 0:41

    Ein kurzer, prägnanter Abriß der Dampflokgeschichte der letzten hundert Jahre, bei der vor allem immer wieder hervorsticht, wie landsmannschaftlich-ideologische Gründe dazu führen, daß kein länderübergreifender Fortschritt mehr erzielt wurde.
    Eine Schande, die nur durch die letzten Pioniere auf diesem Gebiet ausgebügelt wurde.
    Aber die Welt hat es nicht mehr zur Kenntnis genommen.

    MbG, Tom


  • Thomas Jüngling 26. August 2012, 22:39

    Diese Doku ist wirklich eine ausgezeichnete Arbeit in Wort und Bild! Mir persönlich war gar nicht bewusst, wie lange es noch Versuche mit Dampflokomotiven gab. 52 8055 ist ja recht bekannt, aber vieles weitere in diesem Text ist wirklich neu. Danke, dass man mal wieder was lernen durfte! Das Foto an sich ist natürlich auch etwas ganz Besonderes.

    Gruß Thomas
  • makna 26. August 2012, 21:48

    Ein hervorragende Zusammenfassung der Dampflok-Entwicklung! Die Baureihe 10 der DB - die Bebraner nannten sie "Sputnik" - war im Einsatz der 01.10 gar unterlegen.
    David Wardale hatte sich ja nach dem "Red Devil" auch noch in China an einer QJ versucht ... dann kam der Schwenk der Chinesen zur rapiden Forcierung der Diesel- und E-Traktion, so dass aus der verbesserten QJ leider nichts geworden ist. Robert Waller war in Südafrika 1982-84 im Team von Wardale.
    Die Waller-Lokomotiven sind nun - leider zu spät - noch einmal richtig schöne Demonstrationsobjekte dafür, dass auch Dampfkraft einen hohen Wirkungsgrad entfalten kann!
    Danke für diesen großartigen Text- und Bild-Beitrag!
    BG makna
  • Dieter Jüngling 26. August 2012, 19:29

    Danke!
    Gruß D. J.
  • Kurbelwelle 26. August 2012, 17:11

    Super Dokumentation. Vielen Dank!
    LG Albi
  • MichlFS 26. August 2012, 16:04

    Nochmal danke für die ausführliche Info, Thomas. Wir haben die "14" in Betrieb erlebt und fanden die Fahrt aufs Rothorn genial.

    Viele Grüße, Michl.
    Brienz Rothorn Bahn - Tankstop
    Brienz Rothorn Bahn - Tankstop
    MichlFS
  • Klaus Kieslich 26. August 2012, 14:47

    Eine hochinteressante Info zum klasse Bild
    Gruß Klaus