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Stefan Schwetje


Premium (World), Braunschweig

Verstörend...

Und uns gegenüber spielt sich im Badehaus eine weitere Tragödie ab...
Der Arzt kommt, um die gänzlich nackte lebende Ware, die er für das Lager ausgesucht hat, in Augenschein zu nehmen ! Dünne, Kranke und vor allem schwangere Frauen könnten sich von ihm unbemerkt eingeschlichen haben, also prüft er behutsam, höflich, mit geradezu väterlicher Fürsorglichkeit diejenigen, die ihm schwanger oder krank vorkommen. Er erklärt ihnen, daß es in ihrem eigenen Interesse sei, ihm zu gestehen, ob sie ein Kind erwarten und ob sie erschöpft sind... Er wird ihnen leichte Arbeit geben und zusätzliche Verpflegung. Berührt von so viel Liebenswürdigkeit gestehen die Frauen bedenkenlos. Sie werden zur Seite gebracht, man wirft ihnen einen Mantel über die Schultern, man stellt ein Kind zu ihnen, das in die Sauna geschlüpft ist, ohne bemerkt zu werden (die polnischen Jüdinnen beispielsweise wußten, daß die Kinder verbrannt wurden, und manchmal gelang es ihnen, sie zwischen ihren Beinen zu verstecken)... und man bringt sie ins Krematorium.
Oft ruft man mich zur "Sauna", um eine Ohnmächtige wiederzubeleben, oder eine Nadel herauszuziehen, die eine von den Frauen versucht hat, sich in eine Vene zu stoßen (weil man sie von ihren Kindern getrennt hat, von ihrer Mutter oder ihrem Mann), eine andere hat versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden.
Und all diese Frauen stürzen sich auf mich, fragen mich aus über ihre Angehörigen, ihre Männer, erkundigen sich bei mir, ob die Kinder nicht allzu unglücklich sein werden in den "Familienlagern", wohin man sie in Begleitung einer Tante, einer Großmutter oder eines anderen Familienmitglieds abgeführt hat, ob sie die Erlaubnis bekommen werden, sie täglich zu sehen.
Es hat keinen Wert, ihnen die Wahrheit zu sagen. Sie werden es früh genug begreifen, sobald sie im Lager ankommen.
Aber sie beginnen auch so zu verstehen, sie sehen die Flammen, sie nehmen den Geruch wahr...

(Hart, unmittelbar, nahegehend: Das wenige Tage nach der Rückkehr aus Auschwitz niedergeschriebene Erinnerungsprotokoll einer aus Frankreich deportierten Ärztin)

Quelle: In Auschwitz von Sima Vaisman

Mehr:
http://www.fotocommunity.de/user_photos/1694560?folder_id=671134

Kommentare 4

  • Mary.D. 11. November 2017, 17:21

    Es ist immer wieder erschreckend, wozu die Menschheit fähig war und ist!
    LG Mary
  • Nebelhexe 11. November 2017, 12:41

    Das ist grausam, wenn man sich vorstellt, das so etwas einem geliebten Menschen passiert.
    Ich frage mich vor allem, wieviele sich als angeblich schwanger ausgegeben haben um es besser zu haben und dann das...
    LG
  • Joachim Irelandeddie 11. November 2017, 11:54

    Wieder eine Geschichte aus der Vergangenheit die mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt! Es sind immer wieder unfassbare Berichte. Wir alle müssen dafür sorgen das so etwas nie wieder vorkommt gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig auf diese Greueltaten immer wieder hinzuweisen!

    lg eddie
  • Urs V58 11. November 2017, 11:04

    Kürzlich habe ich in einem Post auf einem der sozialen Medien den Satz "Der Mann mit dem Schnauz muss zurück" gelesen ... ich war entsetzt und wütend über diese krankhafte Vorstellung. Und wenn ich diesen Text lese und dein dazu passendes Bild, dann kommen mir unchristliche Gedanken über solche Vollidioten.
    Danke dafür, dass du immer wieder die "richtigen" Hinweise auf die dunkle Vergangenheit machst.
    LG und ein erholsames Wochenende
    Urs