6.260 10

Anette Z.


Premium (Complete), Aachen

Alex 6

Alex war 16 als die Pandemie anfing. Sie hatte es gerade in die Oberstufe einer Gesamtschule geschafft. Aber es war eng gewesen. Sie hat sich die Chance erarbeitet. Der Plan war: Ausprobieren, ob sie das Abi schaffen kann. Wenn nicht, eine Ausbildung machen. Dafür war ein Fachabi notwendig – also wäre sie wenn nötig auf eine berufsbildende Schule gewechselt. Das sollte doch klappen.

Aber mit dem ersten Lockdown wurde auch die Rückmeldung über Alex Leistungen in der Schule ausgesetzt. Blindflug für einen jungen Menschen, der gerade jetzt auf Rückmeldungen angewiesen war.
Anfragen bei den Lehrern erbrachten beruhigende Worte: „Mach dir keine Sorgen, deine Leistungen sind in Ordnung. Du hast keine Defizite.“

Im Herbst 2020 im Präsenzunterricht stellte sich heraus: Die Lehrer hatten auch keine Ahnung gehabt. Alex bekam 5er und 6er. Klärende Gespräche mit den Lehrern waren nicht mehr möglich. Inzwischen war das Land wieder im Lockdown.

Alex hätte sich gerne wegen ihrer beruflichen Vorstellungen beraten lassen. Was war angesichts ihrer schulischen Probleme der beste Kurs? Aber das zuständige Amt war im Lockdown. Beratungsgespräche gab es nicht mal per Videoanruf. Hier hatte Alex Glück und hat einen netten Menschen gefunden. Eine Frau im Amt hat Alex ihre Privatnummer gegeben und sie in ihrer Freizeit beraten.

Alex landete tatsächlich auf der berufsbildenden Schule. Sie wollte es sich ersparen, den Rest des Schuljahres auf der Gesamtschule zu verschwenden. Auf der neuen Schule kam sie mitten im Lockdown an. Sie wurde in alle Onlineteams aufgenommen – aber weitere Informationen gab es nicht. Alex hat alle Aufgaben erledigt, die sie online fand. Irgendwann stellte sie fest, dass es Veranstaltungen gab, von denen sie nichts wusste. Einmal meldete sie sich in Teams an, fand eine laufende Videokonferenz und trat bei. Da hat sie hinterher die Lehrerin gefragt, ob die Konferenz regelmäßig war. Ja, war sie. Es hatte wohl niemand gemerkt, dass Alex nicht da war – Online waren die Konferenzen nicht vermerkt.

Am Ende des Schuljahres fand Alex auf ihrem Zeugnis 66 unentschuldigte Fehlstunden. Woher die kommen, konnte ihr niemand sagen – es waren Sommerferien und das Klassenbuch war in der Schule eingeschlossen. Alex vermutet aber, die Fehlstunden hängen mit weiteren unangekündigten Videokonferenzen zusammen, bei denen sie nicht zufällig zum richtigen Zeitpunkt nachgesehen hat.

Die Noten waren wieder entsprechend schlecht und Alex hat sich entschlossen, die EF zu wiederholen. Nochmal. Sie möchte nun mal Erzieherin werden und braucht dafür das Fachabi. Sie hofft einfach, dass der Unterricht regulär laufen kann. Und dass sie es tatsächlich schafft, das Fachabi zu machen.

Kommentare 10

Bei diesem Foto wünscht Anette Z. ausdrücklich konstruktives Feedback. Bitte hilf, indem Du Tipps zu Bildaufbau, Technik, Bildsprache etc. gibst. (Feedbackregeln siehe hier)
  • verocain 24. Januar 2022, 13:31

    Du hast jetzt aus meiner Sicht vor allem den richtigen Ton dazu gefunden. Bilder und Texte sind jetzt eine Einheit, die mit Bedacht korrespondieren und sich in Wirkung und Aussage ergänzen - sie passen zueinander.
    • verocain 26. Januar 2022, 12:35

      Nochmal: Es geht nicht um Wahrheit, sondern um die Art und Weise, wie sie vorgetragen wird. Die Wahrheit wird doch nicht deshalb wahrer, nur weil man sie schrill, emotional und mit stärkstmöglichen Vokabeln vorträgt. Ich habe nicht gesagt, dass mir nicht gefällt WAS du sagst, sondern WIE du es sagtest. Und das WIE ist so oft entscheidend, wenn man mit dem Gesagten jemand bzw. etwas erreichen will. Ist einem das egal, ob man jemand erreicht, ist auch die Tonlage egal. Kritik an den Coronamaßnahmen, Bedenken gegen staatliches Handeln und Hinweise auf Schäden machen noch niemand zum Querdenker oder stellen jemand in eine Ecke. Das tut man meistens selber, in dem man sich der Tonlage und Wortwahl bestimmter Strömungen bedient und anpasst, anstatt sachlich Kritik vorzutragen. Ein sachlicher Vortrag ist keine Wahrheitsverzerrung - im Gegenteil!
    • Anette Z. 27. Januar 2022, 7:03

      Du verstehst da was falsch: Meine verschiedenen Texte richten sich an unterschiedliche Menschen. Die etwas provokantere Variante richtet sich an die, die sich davon erreichen lassen. Und die gibt es.

      Und dieser Tonfall spiegelt gerade sehr genau die Stimmung an den Schulen wieder. Hast du gestern Nachrichten geschaut? Abends 22:13 kommt die Schulmail (nachzulesen auf der Homepage des Ministeriums ganz offiziell). Am nächsten Morgen sollen die Schulen eine neue Teststrategie umgesetzt haben. Es hagelt Kritik aus der Presse. Und Frau Gehbauer stellt sich vor die Kameras und erklärt noch, das wäre richtig so. Sowas erleben wir seit 2 Jahren regelmäßig. Wir sind wütend. Stinkwütend.

      Übrigens: Elli, Alex und Sam sind meine Töchter. Mit sowas habe ich mich nach der Schule dann privat rumgschlagen.

      Wir haben ein Recht wütend zu sein. Und es baucht Leute, die diese Wut nach außen tragen. So beherrscht, dass sie noch mit Menschen wie dir darüber diskutieren können.

      Was wir nicht brauchen sind Leute wie du, die unsere Wut als "unangemessen" abtun. Glaubst du wirklich, wir einen dieses gespaltene Land, indem wir allen, die zu Recht wütend sind sagen, sie sollen sich doch bitte in ihrem Tonfall mäßigen? Ich nicht.
    • verocain 27. Januar 2022, 12:54

      Wir reden ein wenig aneinander vorbei. Mir geht es um die Darstellung und Präsentation von Bildern, um Kunst im weitesten Sinne, nicht so sehr um ein politisch-gesellschaftliches Statement. 

      Was das "Recht auf Wut" angeht, sehe ich das, wie du ja weißt, unabhängig von den Bildern und der künstlerischen Präsentation auch sehr differenziert und etwas anders. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung. Niemand hat in politisch-gesellschaftlichen Fragen ein "Recht auf Wut".
      Und ich bin im Gegenteil der Meinung, dass man Spaltung nur - und wirklich nur! - mit gemäßigtem Tonfall überwinden kann.
      Es wird dringend Zeit, dass wir alle mal ein bisschen runterkommen, anstatt uns immer neu in Wut anzustacheln. Das hat noch nie zu etwas Gutem geführt und das wird es auch dieses Mal nicht. Diese Pandemie wird vorbeigehen, es werden Schäden entstanden sein, auch solche, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Aber wer sich - insbesondere im öffentlichen Raum - durch verfehlte Wortwahl ins Abseits gestellt hat, dem wird man das nachhalten. Ich glaube, das scheint einigen nicht bewusst zu sein. Und wir haben einen Teil in der Gesellschaft, der bereits abgespalten ist, mit dem nicht mehr zu reden ist, weil dort nur noch Wut vorherrscht. Mit diesem Teil werden wir leben und umgehen müssen, die wird man nicht mehr einfangen können. 

      Für mich persönlich ist der einzige Weg, dass ALLE Seiten bereit sind, sprachlich endlich etwas abzurüsten.
  • DereL 24. Januar 2022, 13:05

    66 unentschuldigte Fehlstunden, das sind ca. zwei Unterrichtswochen, dafür musst doch eine Verantwortung außerhalb der eigenen zu finden sein.
    Das Foto vermittelt für mich gut eine in sich gekehrte Kreativität.
    VG
    DereL
  • Fotobock 23. Januar 2022, 23:42

    Die Aufnahme gefällt mir sehr- feines Detail. Natürlich passt das zur der Reihe der Handaufnahmen und Details in den Tagebüchern, wo die jungen Menschen selber Kunst gestalten, sich neu finden, da sie die Freunde nicht mehr sehen können, die Schule nicht besuchen.... Ich bin nur nicht sicher, ob es sich ein wenig vom eigentlichen Thema entfernt, wenn zu viele Details dargestellt werden. Die Geschichten dahinter sind wichtig und erzählen das, was viele nicht wissen und nicht bemerkt haben. Das Konzept verstehe ich schon. lg Barbara

Informationen

Sektionen
Views 6.260
Veröffentlicht
Sprache
Lizenz

Exif

Kamera Canon EOS 5D Mark IV
Objektiv EF100mm f/2.8L Macro IS USM
Blende 2.8
Belichtungszeit 1/160
Brennweite 100.0 mm
ISO 640

Gelobt von