Reiner H.


Premium (Pro), 50° 44' 2.37'' N ~ 7° 5' 59.33'' E

: 20 | l e t h a r g i e

[Diese Geschichte handelt von dem legendären Duell zweier Lügengladiatoren : zwischen dem unbesiegten Champion Käpt´n Blaubär und seinem Vorgänger Nussram Fhakir, der Einzigartige.
Sie ist mein diesjähriger Versuch einer (vorweihnachtlichen Geschichte … viel Stoff und leider fand ich nicht die erforderliche Zeit, jeden der 24 Tage mit Bildern und Worten zu füllen; also wird es peu á peu weitergehen.]



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Ich fing an bei den Zwergpiraten, erzählte von den nächtlichen Feuerwerken und den gescheiterten Kaperversuchen, meinem Wachstum von Algenkost und meiner Fähigkeit, einen Knoten in einen Fisch zu machen.
Das Publikum horchte auf. Sie hatten fast vergessen, was eine gute Lügengeschichte war. Sie befanden sich immer noch im Zustand der Lethargie, der Applaus war nicht gerade überwältigend (drei Punkte), aber ich hatte wieder Aufmerksamkeit erregt.
Das war ein Anfang. Der Anfang vom Ende.
Nussram erwachte nur schwerfällig aus seiner Betäubung. Er war irritiert, hatte nicht damit gerechnet, daß ich noch einmal auf die Beine kommen würde. Aber er riß sich zusammen und erzählte eine dürftig zusammengeschusterte Notlüge, für die er zwei Punkte bekam.

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Als nächstes erzählte ich von der Klabauterinsel. Behutsam baute ich die Spannung im nächtlichen Schattenwald auf, beschrieb dann eindringlich das erste Erscheinen der Geister, imitierte ihre gräßlichen Gesänge und Bewegungen. Ich berichtete ausführlich von meinen Auftritten als Tränentenor und schilderte die grußeligen Eßgewohnheiten der Klabautergeister.
Erstes Gelächter im Publikum, ein Bravo-Ruf. Solider Applaus, vier Punkte.

Fhakir war zu sehr Profi, um sich zu stark beeindrucken zu lassen. Er wühlte tief in seiner Trickkiste und baute aus zwei klassischen Lügengeschichten, die traditionell von Gladiatoren seit Jahrhunderten variiert werden, eine nicht unraffinierte Doppellüge zusammen. Aber die versierten Zuschauer durchschauten seinen Kniff und bestraften ihn mit einem einzigen mageren Punkt.

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Meine Flucht übers Meer. Meine Beschreibung der Tratschwellen erregte allgemeine Heiterkeit. Ich machte ihre Stimmen nach, ließ sie ein Streitgespräch führen und schwappte dabei auf meinem Thron hin und her. Ich erzählte von meiner stimmlichen Ausbildung und gab ein paar Kostproben meines mächtigen Wirtschatzes. Das Auftauchen des Tyrannowalfisches Rex sorgte für die nötige Spannung, der glückliche Ausgang für das Happy-End, die Beschreibung der Feinschmeckerinsel machte Appetit auf die Fortsetzung. Das Publikum kam wieder in Schwung. Ausgelassenes Gelächter, Heißbier wurde geordert, fünf Punkte.

Nussram blieb eiskalt. Lässig und nonchalant wie in der ersten Runde strickte er ein elegantes Garn über einen Ballonflug zum Mond zusammen. Bemerkenswert fand ich allerdings die ersten Anzeichen der Verunsicherung bei ihm. Ein Außenstehender hätte diese winzige Nuance von Nervosität niemals registriert, aber ich nahm ein ganz leichtes, wiederholtes Zucken seines linken Ringfingers wahr, vielleicht nur ein Anheben des oberen Fingergliedes um einen Millimeter. So sauber die Geschichte gebaut war, sie war trotzdem ein alter Hut, zusammengeklaubt aus ein paar wohlbekannten zamonischen Märchen. Das Publikum gab gnädige drei Punkte.

aus : Walter Moers – Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär,
Goldmann-Verlag, ISBN-13 : 978-3-442-45381-8

h i e r . g e h t ´s . w e i t e r :

: 21 | w u e s t e n f i s c h e
: 21 | w u e s t e n f i s c h e
Reiner H.


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