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Premium (World), München

"Bubikopf"

Die Baureihe 64 soll ihren Spitznamen "Bubikopf" bereits zur Zeit Ihrer Anlieferung 1928 erhalten haben, in Anlehnung an die in den 20er Jahren aufgekommene Modefrisur für Damen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Bubikopf_(Frisur)
Man sagte, dass dieser Kosename der 64er wegen ihres gedrungenen Anblicks von vorn verliehen worden sei. Freilich weisen die ebenfalls ab 1927/28 in Dienst gestellten Einheits-Tenderloks der Baureihen 80, 81 und 86 dasselbe gedrungene Erscheinungsbild auf (im Vergleich zu den Tenderloks der Länderbahnen - sagt man ;-)

Wie es dazu kam, dass nun nur für die 64er der Spitzname "Bubikopf" gefunden wurde, bleibt im Dunkel der Geschichte ... die erste Erwähnung in der Literatur erfolgte meines Wissens 1960 in Karl-Ernst Maedels berühmtem Werk "Geliebte Dampflok" (Stuttgart 1960; Seite 131) bei einer Schilderung des Rundgangs durch den Dampflokschuppen:

"Sieh mal an, wer steht denn da? 64 154! Unser lieber Bubikopf! Was sagst Du? Was Bubikopf heißt? Den kennst Du nicht? Aber das ist doch der Spitzname der 64er. Da staunst Du wieder. Unsere Dampfloks haben nämlich auch Spitznamen! Die 64er ist der Bubikopf und die 24er ist das Steppenpferd. Die 95er heißt Bär und die kleinen 89er sind Teckel ..."

So also lernte meine Generation - noch vor 1968, also ohne das kritisch zu hinterfragen - mit der entflammten Liebe zur Eisenbahn, die in (West-) Deutschland wesentlich durch die Werke des aus Halle/Saale stammenden Lokmagazin-Gründers Karl-Ernst Maedel befeuert wurde, dann neben der Kenntnis von Baureihen- und Gattungs- sowie Bauartbezeichnungen (wie 1'C1' h2 Pt 34.17 für die 64er) auch, dass manchen Lokomotiven Spitznamen verliehen worden waren. Vom wem? Einerlei - Bubikopf prägte sich ein und ging nicht mehr aus dem Kopf!

Es war Karl-Ernst Maedel selbst, der in einem späteren Werk ("Erinnerungen an die Dampfeisenbahn. Ein Rückblick auf die letzten Jahrzehnte des Dampfbetriebes in Deutschland", Stuttgart 1982; hier: Seite 61 unten) in einer Bildunterschrift bemerkte:

"Kein Mensch weiß heute mehr, warum sie einst 'Bubikopf' genannt wurde. Aber jeder kennt sie, die brave 64er ..."

Doch "Roaring Twenties" und "Bubikopf" gehörten zusammen - warum also soll die bereits im ersten Lieferjahr 1928 in einer sagenhaft großen Zahl in nahezu allen deutschen Landen in den Betrieb gekommene Baureihe 64 diesen Spitznamen nicht gleich von ihren Lokpersonalen verliehen bekommen haben ... so wie der modische Damenhaarschnitt diesen Namens dann auch erst in der letzten Periode der 20er Jahre, als die Wirtschaft wieder Fuß gefaßt hatte (der "schwarze Freitag" und seine Folgen kamen erst danach), das Selbstbewußtsein wuchs und modische Berliner Attribute auch in die Provinz gelangten, weite Verbreitung gefunden hatte?

1928 wurden - quasi "auf einen Schlag" ! - insgesamt 154 (!!!) "Bubiköpfe" bei der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft in Dienst gestellt: 64 001-130, 132-141, 152-159 und 162-167. Wegen der Beteiligung nahezu aller deutschen Lokomotivfabriken und der Aufteilung in verschiedene Baulose kam diese große Zahl (und die Lücken in der Nummernfolge: 64 131, 142-151, 160-161, 168 ff. wurden ab 1929 in Dienst gestellt) zustande ...

... und das Kuriosum, dass nicht 64 001 der erste gelieferte "Bubikopf" war, sondern den 1927 bei Henschel & Sohn in Kassel unter F.Nr. 20903-20905 gebauten 64 041-043, zusammen zeitgleich ausgeliefert am 26.01.28 an das Bw Neustadt/Haardt (heute: Neustadt an der Weinstraße), diese Ehre zuteil wurde.

Der "Bubikopf" im Bild, 64 346 des Bw Augsburg, wurde kurz vor Ende dieses Lokomotivlebens am 02.11.66 im Heimat-Bw Augsburg unter Dampf angetroffen - mehr zu dieser Lok (und zur Spitznamen-Diskussion dann in den dortigen Anmerkungen):

64 346
64 346
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Kommentare 8

  • BR 45 12. März 2016, 12:21

    Die Frage warum der "Bubikopf" seinen Spitznamen erhielt, erkennt man m.Ansicht nach nicht von vorn sondern man muss sich die Breitseite angucken und dann mal mit ner 86er-Ansicht vergleichen.
    Das "Gesicht" dieser Maschine hast Du freilich hier bestens portraitiert und Deine Recherchen zum Thema
    sind wieder "einsame Spitze" !!
    Grüsse Andy
  • † Bickel Paul 6. Februar 2013, 21:30

    Eine schöne Aufnahme von der Front dieser Lok, und sehr interessant diese grosse Beschreibung dazu.
    Gruss Paul
  • Heinz Hülsmann 6. Februar 2013, 17:04

    Danke fürs zeigen der Lok und sehr interessant Dein Begleittext.

    VG Heinz
  • Dieter Jüngling 6. Februar 2013, 16:50

    Na, Danke für diese sehr umfangreiche Darstellung. Die ist hier ja fast mehr wert, als das Foto selbst.
    Gruß D. J.
  • Michael PK 6. Februar 2013, 15:19

    Neben den Bildern aus alter Zeit erfährt hier der Eisenbahnfreund immer wieder etwas neues.Dies macht auch den FC aus,es ist eben mehr als nur das zeigen von Bildern.Danke für die Story
  • Thomas Reitzel 6. Februar 2013, 11:13

    Der Anblick von vorn wird der Gestalt der 64er am vorteilhaftesten gerecht. Sie war aber von allen Einheitstenderloks die gedrungenste. Der Schornstein schien zudem kürzer zu sein als die Domaufbauten, was auch etwas unharmonisch wirkte. Alles Details, die bei einem Betrachter zu einem Spitznamen führen können...

    Tscha, K.E.Maedel hat uns alle stark beeinflußt, und das ist keineswegs negativ gemeint, indem er unser Interesse lenkte und mit seinem Schrifttum förderte, das letztlich durch das Lokmagazin zu ernsthaftem Auseinandersetzen und dem Anreichern von Wissen über die Lokomotivgeschichte und -technik führte, wenn auch weitgehend nur theoretisch. Immerhin!

    Anzumerken wäre noch, daß keineswegs nur 64 001 nicht die erste Lok ihrer Reihe war, die geliefert wurde.

    Wie allgemein bekannt, war ja auch 01 008 die erste in Betrieb genommene 01, dann erst kamen 005 und 001.


    VG, Tom

  • Georg Rinneberg 6. Februar 2013, 10:53


    ... es ist ein vergnügen Deine Anmerkungen zu lesen..
    und das foto ist ohnehin klasse...

    Beste Grüße
    Georg