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Pilz frisst Schmetterling (6528)

Pilz frisst Schmetterling (6528)

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Weißwolf


Premium (World), Güstrow

Pilz frisst Schmetterling (6528)

Verpilzter Schmetterling – das könnte der kurze Titel des Bildes sein. Denn er benennt genau das, was man auf dem Foto sieht: einen toten Schmetterling, aus bzw. auf dem ein Pilz wächst. Man nimmt es kaum wahr, wenn man dem Objekt begegnet, nicht nur, weil es scheinbar leblos in der Vegetation hängt, sondern weil es für die allermeisten von uns keine sympathischen Assoziationen weckt, denn was in unserem näheren Umfeld von Pilz befallen ist, bezeichnen wir deshalb auch schlecht – es ist schlecht geworden, verdorben, ungenießbar, giftig, krank machend.
Der Reiz für den Fotografen besteht darin, das plastisch hervorzuheben oder überhaupt sichtbar zu machen, was sich dahinter verbirgt, es überhaupt wahrnehmbar zu gestalten. Die Ausleuchtung und die Hintergrundgestaltung waren vor Ort nicht ganz einfach und bedurfte helfender Hände (Dank an Euch, Maren und Udo!).
In der Luft schwirren Myriaden Pilzsporen herum, u.a. die des Schlauchpilzes Cordyceps tuberculata. Er ist auf Schmetterlinge spezialisiert, genauer gesagt auf die Imagines (viele andere Arten der Gattung, die meisten sogar, befallen Raupen und/oder Puppen), in die er über die Kutikula oder durch Körperöffnungen eindringt. Die Sporen setzen im Gehirn des Falters Substanzen frei, die ihn manipulieren, d.h. zu einer Verhaltensweise zwingen, die eigentlich nicht seinem genetischen Naturell entspricht. Er klettert nämlich auf die Zweigspitzen von Pflanzen, hier dem abgeblühten und fruchtenden Heidekraut, von denen er sich nicht mehr fortbewegt und schließlich stirbt. Im Englischen wird diese „Krankheit“ treffend als „summit disease“ bezeichnet. Die keimenden Sporen ernähren sich von dem sterbenden und dem toten Körper des Schmetterlings; der Pilz bildet ein Myzel, das sich um den Körper der Leiche legt und auf dem sich schließlich die Fruchtkörper bilden.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn die Ökologie der Schlauchpilze ist reichlich kompliziert und deren Taxonomie auch für einen gestandenen Naturfreund kaum durchschaubar.
Schlauchpilze (Ascomycota) vermehren sich sowohl geschlechtlich (sexuell) als ungeschlechtlich (asexuell), wobei letztere deutlich überwiegt. Beide Formen unterschieden sich fundamental, leben und ernähren sich aber sehr ähnlich, in diesem Falle befallen beide Formen ausgewachsene Schmetterlinge. Die ungeschlechtliche Lebensform wird als Anamorph, die geschlechtliche Form als Teleomorph bezeichnet (beide zusammen bilden den Holomorph). Da sich beide Formen so sehr unterscheiden, hielt man sie in den meisten Fällen und bis weit in das 20. Jh. für unterschiedliche Arten. Aber selbst mit der Erkenntnis, dass es sich „nur“ um zwei verschiedene Formen ein und desselben Pilzes handelt, ist die Nomenklatur beibehalten worden. Der Anamorph des Pilzes, der im Bild den nicht mehr identifizierbaren Eulenfalter befallen hat, ist Akanthomyces pistillariiformis, der Teleomorph ist Cordyceps tuberculata. Die Sporen der ungeschlechtlichen Form werden als Konidiosporen oder Konidien bezeichnet; sie befinden außen auf den Auswüchsen. Bei der geschlechtlichen Form, die den namensgebenden Schlauch (Ascus) bildet, heißen sie Ascosporen.
In Zentralasien, vor allem im Tibet, werden die Teleomorphen einer verwandten Art gesammelt und bilden das Rückgrat der dortigen Wirtschaft. Nach jüngeren ökonomischen Erhebungen (Winkler, Economic Botany 62 (3): 291-305, 2008) bestreitet der Erlös aus dem Verkauf der Asci von Cordyceps sinensis 40 % des BIP des Tibet. Der Preis ist derzeit mehr als doppelt so hoch wie der des gleichen Gewichts Gold. Er wird dort als yartsa gunbu („summer-gras, winter-worm“) und im Handel als „himalayan gold“ bezeichnet. Ihm werden enorme medizinische und ernährungsphysiologische Wirkungen nachgesagt.

Kommentare 3

  • sissi9607 25. Februar 2021, 7:06

    Vielen Dank für das gezeigte Phänomen und die sehr interessanten Erläuterungen, zusätzlich zu dem sehr guten Makro. Sissi
    • Weißwolf 25. Februar 2021, 7:56

      Ich danke Dir und hoffe, die Erläuterungen sind trotz des komplexen Hintergrunds einigermaßen verständlich; wenn etwas unklar ist, gib bitte Bescheid.
    • sissi9607 25. Februar 2021, 19:25

      Vielen Dank für das Angebot. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich die Materie komplett durchdringe, aber du hast es so verständlich dargestellt, dass ich momentan keine Fragen dazu habe. Bei Heuschrecken habe ich auch schon mal von einem derartigen Parasiten gehört.
      Ich werde dir auf alle Fälle mal unauffällig folgen.
      LG Sissi

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Kamera NIKON D300S
Objektiv Sigma Macro 105mm F2.8 EX DG or AF Micro-Nikkor 105mm f/2.8D
Blende 20
Belichtungszeit 1/60
Brennweite 105.0 mm
ISO 100

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