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Grausames Schicksal : Eine Orkannacht steht bevor......

Grausames Schicksal : Eine Orkannacht steht bevor......

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Folkert Saueressig


kostenloses Benutzerkonto, Norden

Grausames Schicksal : Eine Orkannacht steht bevor......

die "Johanne" wurde vielen zur Todesfalle
Das tragische Ende der "Johanne"
Der katastrophale Verlust des Auswandererschiffes "Johanne" ist ein ebenso dunkles wie auch rühmliches Kapitel in der Geschichte Spiekeroogs.
Am 2. November 1854 geht die Dreimastbark in der Wesermündung ankerauf. Ziel ist Baltimore an der Ostküste der USA. An Bord befinden sich 13 Besatzungsmitglieder und 216 Auswanderer aus dem Süden Deutschlands, die unter großen Strapazen die Küste erreicht und einen miserablen Zwischendecksplatz an Bord ergattert haben. Sie sind fast alle bitterarm und wollen in Amerika eine neue Heimat finden.
Nur ein paar Stunden Ruhe sind den Seeungewohnten vergönnt. Am Nachmittag des 3. November laviert die Bark unter gerefften Segeln in schwerem Nordwest bei Norderney. Der Wind dreht jedoch, und der 4. sieht das Schiff unter vollen Segeln vor günstigem Südost.
Schon glaubt man, das Schlimmste sei überstanden, als in der Nacht auf den 5. der Wind erneut auf Nordwest springt und Sturmstärke annimmt. Trotz verzweifelter Anstrengungen wird die "Johanne" von ihrer Position westlich von Helgoland unerbittlich nach Süden vertrieben. In der Nacht auf den 6. wächst der Sturm zum Orkan. Von Hagel- und Schneeböen gepeitscht driftet die Bark, fast schon ein Wrack, auf die Untiefen vor Spiekeroog und kommt in der haushohen Brandung fest.
Am Morgen des 5. November 1854 sehen die 134 vollzählig am Strand versammelten Spiekerooger einen Trümmerhaufen an ihrer Küste, auf dem zahllose Menschen um ihr Leben ringen. Masten und Takelage sind "von oben gekommen", teils bewusst gekappt, um ein Kentern zu verhindern. Dabei hat es die ersten Toten und schwer Verletzten gegeben. Weitere werden von der See über Bord geschlagen und ertrinken im eisigen Wasser der Nordsee.
Von Land aus ist keine Hilfe möglich. Es ist kein Boot da – es wäre auch zu nichts nütze –, und außerdem ist bei Hochwasser das Wrack unerreichbar. Erst die Ebbe gibt es allmählich frei, und die Überlebenden können den Strand gewinnen. Unter ihnen sind dreizehn Passagiere, die sich unter Deck verrammelt hatten und ihr Glück zunächst gar nicht glauben mögen.
Hätten doch alle so gehandelt! Denn der Zoll ist hoch. 77 Menschen sterben mit der "Johanne": 34 Frauen, 18 Männer, 18 Kinder und 7 Säuglinge.
Schon in der Frühphase der Strandung hatte die Tragödie unter den Insulanern blankes Entsetzen statt der üblichen Euphorie anlässlich einer "Strandsegnung" mit nachfolgender Wrackplünderung ausgelöst. Entsprechend war die Anteilnahme und Hilfestellung, die den Überlebenden zuteil wurde. Die selber ärmlichen Spiekerooger nahmen die Schiffbrüchigen auf wie liebe Verwandte, und bald kam auch Proviantnachschub und ein Arzt vom Festland, nachdem die Botschaft von der Katastrophe die Reeder in Bremen erreicht hatte.
Am 14. November reisen die Überlebenden der "Johanne" ab, bunt gekleidet in Geborgenem und Geborgtem. Vier Tage später sind sie wieder in Bremerhaven. Doch nur die wenigsten wagen sich auf eine erneute Seefahrt. Der Großteil kehrt mutlos und ärmer denn je in die süddeutsche Heimat zurück, wenn auch viele nach dem Abklingen des Schocks später einen neuen Anlauf nehmen. Einige schreiben auch den Spiekeroogern, um sich für die noble Behandlung zu bedanken.
Das Wrack des Havaristen versackte allmählich im Mahlsand. Schon nach zwei Wochen wurde der Restrumpf von der Versicherung verkauft, im Frühjahr 1855 die geborgene Ausrüstung. Nichts fehlte.
Die so tragisch verlaufene Strandung führte dazu, dass 1862 auf Spiekeroog eine Rettungsstation eingerichtet wurde

Kommentare 5

  • N. Claudia 22. Januar 2007, 10:14

    wirklich eine tragödie die du auch hier wieder mit unglaublich spannenden worten erzählst. wenn man am strand von spiekeroog entlang läuft kann man nicht mal erahnen was sich damals abgespielt hat, die vielen erwachsenen und vor allem kinder und babys die hier ums leben gekommen sind. traurig und von vielen vergessen. du präsentierst hier wieder eine wunderbare dokumentation deren text man einfach bis zu ende lesen muss...
    einen lieben gruß mit einem guten start in die neue woche schickt die claudia
  • bs-froeschl 21. Januar 2007, 15:07

    einsach top - wieder eine perfekte Bild - Text - Kombination.
    Gruesse
    Georg
  • Manfred Menken 18. Januar 2007, 15:33

    Ergreifend berührende Geschichte, die uns nochmal aufzeigt, (gerade heut Abend/Nacht) die Naturgewalten nicht zu unterschätzen.

    Passt auf Euch auf...Manfred
  • Marion Arkebauer 18. Januar 2007, 14:01

    Auch hier passt das Foto zu der Geschichte. Folkert mutiert hier langsam zu unserem Märchenonkel, auch wenn es keine Märchen sind, die er uns hier erzählt, sondern grausame Wahrheiten.
    Ich mußte bei dem Text unweigerlich an die ZDF-Doku "Windstärke 8" denken. So konnte ich mir das ganze auch gut vorstellen.
    LG, Marion
  • Eigil Cramer 18. Januar 2007, 10:57

    Hier sieht man mal wieder, daß der Mensch doch trotz all seiner Technik den Naturgewalten nicht viel entgegen zu setzen hat. Eine sehr gelungene Dokumentation, die du uns hier zeigst.
    Macht doch sehr sehr nachdenklich.
    LG Eigil