Reiner H.


Premium (Pro), 50° 44' 2.37'' N ~ 7° 5' 59.33'' E

: 11 | a b f l u g

[Diese Geschichte handelt von dem legendären Duell zweier Lügengladiatoren : zwischen dem unbesiegten Champion Käpt´n Blaubär und seinem Vorgänger Nussram Fhakir, der Einzigartige.
Sie ist mein diesjähriger Versuch einer vorweihnachtlichen Geschichte … viel Stoff und hoffentlich finde ich Zeit, jeden der 24 Tage mit Bildern und Worten zu füllen.]



Das Publikum ächzte und raunte. Smeik beriet sich aufgeregt mit seinem Hofstaat. Chemluth hatte sich die Mütze übers Gesicht gezogen. Es war nicht vorgesehen, daß während eines Lügenduells pausiert wurde, aber es war auch nicht ausdrücklich verboten. Ich hatte eine Gesetzeslücke entdeckt.

Gemütlich aß ich mein Brot weiter. Ich kaute jeden Bissen siebenmal. Dazwischen machte ich Unterbrechungen, sozusagen Pausen in der Pausen. Noch niemand in der Geschichte der zamonischen Unterhaltungskunst hatte es gewagt, sein Publikum derart auf die Folter zu spannen.

Als ich fertig war, faltete ich das Butterbrotpapierakkurat wieder zusammen und steckte es in die Tasche. Dann lehnte ich mich entspannt zurück, drehte Däumchen und brummte zufrieden vor mich hin, als hätte ich völlig vergessen, wo ich war. Gleich würden sich mich lynchen.

Urplötzlich riß ich so unvermittelt den Arm hoch, daß das ganze Publikum beinahe geschlossen vom Stuhl fiel.
„DER VULKAN BRACH AUS !“ schrie ich. „Und wir mitten drin !“
Eine Nattifftoffinin der ersten Reihe wurde ohnmächtig. Niemand kümmerte sich um sie.
„Die Maulwürfe und ich standen gemeinsam auf einem erkalteten Stopfen aus Lava, der nun vom Ausbruch des Vulkans nach oben getrieben wurde. Es war … es war … Wie soll man das Gefühl beschreiben, von einem Vulkan ausgespien zu werden ?“
Ich überlegte.
„ Es ist, als würde man vo einer Kanone abgeschossen, die auf dem Rücken einer fliegenden Rakete steht. Der Druck, dem wir ausgesetzt waren, preßte uns alle auf den Stopfen. Wir wurden plattgedrückt wie Pfannkuchen, während die runde Öffnung aus Tageslicht immer schneller auf uns zu kam. Wir schossen mit dem Stopfen ins Freie, höher und immer höher, viele viele Kilometer hoch.“

Kunstpause, ganz kurz.
„Dann gab es einen merkwürdigen Augenblick, als der Stopfen seinen höchsten Punkt erreicht hatte: Wir lösten uns von ihm und hingen für einen Augenblick wie schwerelos in der Luft. Wir waren jetzt so hoch, daß wir direkt in den Weltraum sehen konnten, ein Vergnügen, daß ansonsten nur Riesenbollogs vergönnt ist.“

Die Zuschauer wußten ja nicht, daß ich an der Traumorgel den Blick eines Bollogs ins Weltall genießen durfte, daher waren sie auch mächtig beeindruckt von der detailreichen Beschreibung unseres Sonnensystems, die ich ihnen nun gab. Ich geizte auch nicht mit wissenschaftlichen Daten über die verschiedenen Planeten, ihrer Oberflächenstruktur, ihre atmosphärischen Bedingungen, lauter Wissen, das ich in der Nachtschule erworben hatte. Etwa eine halbe Stunde quälte ich sie mit todlangweiligen Einzelheiten, dann fuhr ich abrupt fort:
„Und dann stürzten wir ab.“
Einige Zuschauer mit schwachen Nerven verließen die Arena, hier und da entstanden kleine Tumulte, Riechfläschen wurden herumgereicht.
„ Die Maulwürfe jauchzten vor Vergnügen. Kein Wunder, siw waren ja blind und konnten nicht sehen, was ich sah: Die Erde, die rasend schnell auf uns zu kam. Beziehungsweise: wir auf sie.“
Die Nattifftoffen wackelten mit den Ohren, ein Zeichen extremer Erregung.
„Die Maulwürfe hatten die Arme weit ausgebreitet und sausten quiekend um mich herum wie ein Schwalbenschwarm. Es sah wirklich so aus, als könnten sie fliegen. Und jetzt kommt das Verblüffenste: Sie konnten tatsächlich fliegen.“
Man staunte.
„Ja – jeder kann das. Sogar Sie. Ja, Sie !“ Ich zeigte auf eine Zuschauerin, die mich mit offenem Mund anstarrte.
„Um fliegen zu lernen, kommt es nur auf die Höhe an, aus der man abspringt. Ein Sprung von einem Haus reicht da nicht, auch nicht einer von einer Brücke oder aus einem Fesselballon. N u r ein Schuß aus einem Vulkan bringt einen in die Höhe, die man braucht, um fliegen zu lernen. Das Problem war nur: Ich war erstarrt vor Angst. Ich hatte die Beine angezogenund die Arme eng um den Körper geschlungen und schoß wie eine Kugel auf die Erde zu. Die Maulwürfe konnten mir nicht helfen, denn sie sahen mich ja nicht. Um fliegen zu lernen, muß man die Arme ausbreiten.“

„Dann breite endlich die Arme aus, du Blödmann !“ schrie ein aufgebrachter Blutschink aus der hintersten Reihe.

aus : Walter Moers – Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär,
Goldmann-Verlag, ISBN-13 : 978-3-442-45381-8

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: 12 | a r m e . a u s b r e i t e n
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