Reiner H.


Premium (Pro), 50° 44' 2.37'' N ~ 7° 5' 59.33'' E

: 03 | z a m o n i s c h e . w a s s e r

[Diese Geschichte handelt vom legendären Duell zweier Lügengladiatoren : zwischen dem unbesiegten Champion Käpt´n Blaubär und einem seiner Vorgänger Nussram Fhakir, der Einzigartige.
Sie ist mein diesjähriger Versuch einer vorweihnachtlichen Geschichte … viel Stoff und hoffentlich finde ich Zeit, jeden der 24 Tage mit Bildern und Worten zu füllen.]



...
Ich blieb gelassen und versuchte diesen harmlosen Witz zu überhören. Seit meiner Erfahrung mit der Gourmetica Insularis war Übergewichtigkeit ein empfindliches Thema für mich, und man konnte mich leicht auf die Palme bringen – hier aber galt es, sich professionell zu verhalten.

„Ich kannte mal einen Bären, der war so verfressen, daß er sogar die Kalorien gegessen hat, die andere beim Abnehmen verlieren.“ Nussram hatte sich entspannt zurückgelehnt und amüsierte sich offensichtlich selbst über seinen neuen Seitenhieb.
Das Publikum fand derart bärenfeindliche Witze anscheinend sehr erheiternd, denn es quittierte sie mit Gelächter und Applaus.
„Als er starb, war er so vollgefressen, daß sein Magen notgedrungen noch einen Monat länger weiterleben mußte !“ Ich zeigte keinerlei beleidigte Regung, im Gegenteil, ich schenkte Nussram ein höfliches Lächeln und verneigte mich leicht vor ihm, um ihm meinen Respekt anzudeuten. Er verstand sehr schnell, daß er damit bei mir nicht sehr weit kommen würde.
Er wechselte das Thema.
„Ich habe gehört, du bist nie geboren worden. Das stand jedenfalls in der Zeitung.“
Das Publikum verstummte. Das war kein galanter Scherz mehr, sondern ein Schlag unter die Gürtellinie. Dies war allerdings ein Thema, das mich aus der Fassung bringen konnte.
„Wie kann das gehen ?“ fragte Nussram ins Publikum. „Ist er vielleicht aus dem Boden gewachsen ? Wenn mein Gegner nie geboren wurde, wie kann er dann hier sein ? Vielleicht ist er gar nicht da, und ich habe den Kampf schon gewonnen. Dann kann ich ja gehen.“
Ein paar gequälte Lacher aus dem Publikum. Ich bekam erste Zweifel an der Fairneß meines Vorbilds.
„Er tut mir fast leid, wie er da sitzt – mutterseelenallein.“
Anscheinend ist es der beste Weg, den Respekt vor den eigenen Idolen zu verlieren, ihnen persönlich zu begegnen.
„M u t t e r seelenallein – Sie verstehen ?“ Er konnte es sich nicht einmal verkneifen, diesen primitiven Wortwitz zu wiederholen.

Volzotan Smeik gab mir ein geheimes Zeichen, das bedeutete, daß ich mich nicht aufregen sollte. Aber dazu war es zu spät. Äußerlich behielt ich mein nonchalantes Lächeln, aber innerlich fing ich an zu kochen. Fhakir würde besser daran tun, damit aufzuhören.
„Selbst ein Waisenkind hat mehr Familie als unser Blaubär hier“, lachte Nussram, aber niemand lachte mit. „Vielleicht sollte ich ihn adoptieren.“

Ich war tatsächlich bereit gewesen, dieses Duell mit Freude zu verlieren, als Huldigung an mein Idol, als Zeichen meines Respekts vor Fhakirs Leistungen. Aber jetzt wollte ich diesen Kampf nicht nur gewinnen, sondern ich wollte Nussram Fhakir, den Einzigartigen, so besiegen, wie noch nie ein Lügengladiator besiegt worden war.
Nein, ich wollte ihn nicht nur besiegen, ich wollte ihn zerstören, zermalmen, ihn nach allen Regeln der Lügenkunst auseinandernehmen. Ich wollte, daß ihm jedesmal ein Schweißfilm auf der Stirn erscheinen sollte, wenn er meinen Namen oder die Berufsbezeichnung Lügengladiator hörte, solange er lebte. Er hatte mich an meiner empfindlichsten Stelle getroffen und einmal zu oft nachgebohrt. Jetzt war er nicht mehr mein Vorbild, sondern nur einer von meinen zahlreichen Gegnern. Es war mir egal, daß er Nussram Fhakir, der Einzigartige war.
Ich war Blaubär, der Unbesiegbare.

Der Gong ertönte, und das Duell begann.

aus : Walter Moers – Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär,
Goldmann-Verlag, ISBN-13 : 978-3-442-45381-8

http://www.fotocommunity.de/fotograf/reiner-h/fotos/augen-schokolade12/728010

h i e r . g e h t´ s . w e i t e r ...

: 04 | s c h a t t e n . u n d . s p i e l e
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Reiner H.

Kommentare 4

  • Susanne Yubai 2. Februar 2013, 18:18


    Ein herrlicher Blickwinkel.
    Diese Aufnahme funkelt in feinem Licht.
    Das Motiv, der Schnitt und die erfrischende Farbigkeit lassen
    mich kaum los.
  • Katja St.-Jungbluth 3. Dezember 2012, 19:34

    aus dieser perspektive passt es gut in die geschichte..da ist zwar keine nussschale, aber man braucht nur wenig phantasie, um sich diese hier vorzustellen...und die geschichte wird jetzt richtig spannend:-)
    lg katja
  • Mira Culix 3. Dezember 2012, 10:38

    Es geht Schlag auf Schlag. :-)
    Gut aus der ungewohnten Perspektive!
  • M.Anderson 2. Dezember 2012, 23:32

    zum lesen bin ich jetzt leider zu müde ... versuche es nachzuholen ... hier ist´s das Licht und vor allem dir Komposition ... glg