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… karneval auf dem melaten …

… karneval auf dem melaten …

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Sabine Kuhn


Premium (Pro), Herne

… karneval auf dem melaten …

Ausschnitt Digi-Foto mit D30.
Das Bild zeigt den Kunsthistoriker Günter Leitner und Teilnehmer der Führung an der Büste des Komponisten, Texters und Musikverlegers Toni Steingass.

Bei Interesse: eine kleine Reportage zum Dazu-Lernen.

Karneval auf dem Melaten
In der Session geht es in Köln sogar auf dem Friedhof „närrisch“ zu

Die Kölner lieben ihren Karneval. Ob original Kölsche Jung oder „Immi“, wie sich die Zugezogenen selbst Augen zwinkernd bezeichnen. Wenn in der 5. Jahreszeit „Prinz Karneval" regiert, ruht anderes Leben in der Region, dann ruft das Dreigestirn. Kölle Alaaf hallt’s überall, wer wird denn da ans Arbeiten denken. Ausgeschlossen.
Der Katzenjammer folgt oft am Aschermittwoch, wenn wieder das triste Normal-Leben beginnt. Faschingsdienstag wird rituell der Bacchus beerdigt, wie es die Tradition verlangt.
Bis dass der Tod uns scheidet? Gefehlt.

Szenenwechsel: Sonntag, 3. Februar 2002, kurz vor 15:00 Uhr scharen sich Menschen unterschiedlichster Couleur am Melatenfriedhof. Sie kommen mit Autos naher wie ferner Kennzeichen, auf dem Fahrrad und Motorrad, ältere Mitbürger mit ihren Gehgestellen. Ein buntes Volk, rund 150 Personen, wartet am Eingang Piusstraße. Pünktlich ruft Günter Leitner, selbständiger Kunsthistoriker (KölnBlick) und zu dieser Führung beauftragt vom Stadtkirchenverband der evangelischen Gemeinde Köln mit fester und launiger Stimme seinen „Pilgerzug“ zusammen: zum „Karneval auf dem Melaten“.
Wer meint, dies klänge zu makaber, der urteilt vorschnell. Denn es geht zu, wie es sich gehört: pietätvoll, lehrreich und unterhaltsam. Dafür garantiert Leitner, der u. a. als Referent für Aktivitäten der 600 Jahre alten evangelischen Antoniterkirche in der Schildergasse mitten in der Kölner Innenstadt (die meist besuchte nach dem Dom) tätig ist und als echter Insider umfassend informiert.

„Un deit d'r Herrjott mich ens rofe“ offenbart Leitner als Motto allen Gästen und Interessierten. Es gibt launige wie sehr historische Aspekte, dieses Angebot zum Rundgang wahrzunehmen, fährt er in seinen Ausführungen fort. Denn im Leben wie im Tod, so schmerzlich er persönlich treffen kann, zeichnet das Lebenswerk für die Unsterblichkeit, gerade auch berühmter Karnevalisten, die hier auf dem Melaten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, so wie auch Viele noch im Leben Stehende nie woanders begraben sein möchten.

Dem heutigen Kultstatus geht eine große historische Entwicklung voraus.
Es war ehemals nicht nur in Köln so, dass den Leprosenkranken (französisch malade = krank), außerhalb der Stadtmauern eine streng abgeschottete Unterkunft zugewiesen wurde. 1180 erstmalig überliefert, existierte diese Einrichtung in Köln sicherlich bereits wesentlich früher. Das Leprosenheim genoss damals im gesamten Rheinland einen sehr guten Ruf, auch als Folge der erzbischöflichen Protektion. Als im späten 16. Jahrhundert das Heim zu leeren begann, da die Lepra als Krankheit in dieser Region immer seltener wurde, etablierte sich an diesem Ort ein Gasthaus (für alle Bürger zugänglich), die hier (zum Ärgernis des Kölner Stadtrates) "dolles" und zudem steuerfreies Bier genießen konnten. Kölner Klüngel wie er leibt und lebt.

Zwar gab es im späten 15. Jahrhundert und durch den Dreißigjährigen Krieg Zerstörungen, doch konnte sich die Institution Melaten dessen ungeachtet zu einer respektablen Hofanlage entwickeln. 1767 erreichte schließlich die Stadt Köln die Schließung der Anlage. Drastischer können Genuss und Verdruss mittelalterlicher und nachmittelalterlicher Gesellschaft kaum spürbarer werden als anhand des Melaten, in dessen unmittelbarer Nähe sich Jahrhunderte lang eine der Haupthinrichtungsstätten Kölns befand. Sie wurde ehedem als attraktive Bereicherung des öden Alltagslebens angesehen, die sich auf den Hof Gewinn optimierend auswirkte.

Makabre Höhepunkte waren die Verbrennung der Protestanten Adolph Clarenbach und Peter Fliesteden am 28. September 1529, die Hinrichtung der angeblichen Hexe Katharina Henot am 16. Mai 1627 und schließlich die letzte Exekution an diesem Platz, als am 13. Juli 1797 der Kirchenräuber Peter Eick am Galgen elendig starb.

1794 machten die französischen Revolutionstruppen dem Status der „Freien Reichsstadt“ den Garaus. Für den Melaten sollte das „Kaiserliche Dekret über die Begräbnisse“ vom 12. Juni 1804 eine besondere Bedeutung erhalten. Diese Anweisung zielte auf die Säkularisierung des Bestattungswesens, das von den Zivilgemeinden übernommen werden musste. Dies traf vor allem die Katholiken, denn Juden und Protestanten waren ja bereits seit Jahrhunderten nicht nur als Lebende, sondern auch als Tote ausgegrenzt; sie mussten ihre Toten vor den Mauern der Stadt beerdigen. Die Verwaltung wählte den Melaten, auch deshalb, weil die Bodenverhältnisse günstig waren und problemlos Erweiterungsflächen beschafft werden konnten. Am 29. Juni 1810 weihte Dompfarrer Michael Joseph DuMont die Friedhofsanlage ein. Die Kölner Öffentlichkeit soll es „eher skeptisch“ verfolgt haben, da die katholische Mehrheit traditionell die Gebeine ihrer Verstorbenen möglichst in der Nähe von Reliquien, sprich Kirchen, beisetzte.

Mehrere Jahre lang hat sich der Kölner Stadtgelehrte Ferdinand Franz Wallraf mit der Friedhofsplanung beschäftigt. In seiner 1809 erschienenen Schrift „Über den neuen stadtkölnischen Kirchhof zu Melaten“ legt er seine Vorstellungen dar. Dem Zeitgeist des 19. Jahrhunderts folgend, gewann die Landschaftsgestaltung eine zunehmende Rolle, was sich in der Ansiedlung exotischer Gewächse und Pflanzen und der dadurch ständig steigenden Attraktivität der Gesamtanlage als Landschaftspark widerspiegelt. Ökologische Nischen entstanden, Alexandersittiche, Buntspechte, Dohlen und Fledermäuse haben in dieser grünen Oase heute ein Zuhause gefunden. Die Nutzung des Melaten als öffentliche Grün- und Naherholungsfläche stand von Anfang an als Ziel. So plauderte eine „Pilgerzugs“teilnehmerin, hier immer als Kind gespielt zu haben, „weil man sich hier mal frei bewegen konnte, und das auf einem Friedhof", fügte sie eher leise dazu.

Bei meinem ersten Besuch dieser Stätte Anfang Dezember 2001 wollte ich zu einem Fotografentreffen stoßen, dem der fotocommunity.de, dem europaweit größten Forum dieser Art. Da der Melaten so groß ist und ich viel zu spät dran war, fragte ich wahllos Personen, die fotografierten, ob sie fc-zugehörig sind. Das wurde in der Sache immer verneint, aber die Menschen reagierten alle sehr nett und freundlich. Eine fotografierende Frau zeigte mir ihr Lebenswerk: Engel im Bild festzuhalten. Sie zog einen ganzen Stapel von Automatenabzügen aus ihrer Tasche und erklärte, wo ich diese Skulpturen auf dem Melaten finde werde. Ein hochbetagtes Ehepaar suchte die letzte Ruhestätte von „unserm Willy“. Gemeinsam haben wir sie gefunden, eher schlicht gestaltet, nur ein einfaches Holzkreuz erinnert an den großen Komödianten Willy Millowitsch, eingebrannt der Kölner Dom und ein „Tschüss, Willy“, das hat Klasse, in meinen Augen. Hier, an dieser Gruft, endet am Sonntag der Rundgang.
Kurz vor knapp, vor Schließung der Friedhoftore um 17:00 Uhr, gibt es Applaus für den „Karneval auf dem Melaten. Einen "Leichenschmaus" gibt es mal nicht, wohl aber einen geneigten Spendenaufruf: 4 Euro pro Kopf. Da wird dann auch gern aufgerundet.

Beim Verlassen dieser Stätte und geneigter Wahrnehmung dafür steht an der Friedhofsmauer am alten Haupteingang (Tor 2) geschrieben:
„Transi non sine votis mox noster.“
(„Geh’ nicht vorüber ohne fromme Gebete, Du, bald der Unsrige.“)

Am westlichen Ende der Mauer von 1810 schließt sich der Reigen der an den Verstand und ans Gemüt gehenden Sprüche:

Was die Erde gab
Begehrt sie wieder
Und was Staub gewesen
Wird zu Staub
Doch die Seele stieg
Vom Himmel wieder
Wohl der Gottheit
Keines Todes Raub
Unsere Tränen
Fallen auf den Hügel
Den geliebten
Überrest bedeckt
Doch des Glaubens
Gold beschwingte Flügel
Trägt uns aufwärts
Wo kein Grab
Mehr schreckt

(F. F. Wallraf um 1810)






Als echt Kölsche Jungs und verdiente Karnevalisten bleiben mir in Erinnerung:

Christ Samuel Schier (*31. 3. 1790 · † 4. 12. 1824),
1814/15 Leutnant des Preußischen 16. Infanterieregiments,
ab 1822 Schriftsteller in Kölle, Beiname: „1. Hofpoet des Kölner Karnevals“,
Widmung auf der Rückseite seiner von einer Lyra gezierten Stele:
Amici MDCCCXLIV, signiert von J. Hansmann, 1997 restauriert.

Mathias Joseph DeNoël (*28. 12. 1782 · † 18. 11, 1849),
volkstümlicher Dichter, Maler und Kaufmann,
1. Konservator des Kölner Museums und 1823 Reformer des Kölner Karnevals.
Auf seinem Grab ist angemerkt:
Ferdi Leisten (* 2. 3. 1914 · † 6. 3. 1995)
„Der Mensch geht auf wie eine Blume und fällt ab,
fliehet wie ein Schatten und bleibt nicht.“ (Hiob)

Joseph Roesberg (*31. 8. 1824 · † 23. 7. 1871 in Köln),
er verfasste das „Schüsse Tring-Lied“ und führte bis 1863 die Weinwirtschaft „Zum Hahnen“. Von 1847 bis 1871 war er aktiv im Kölner Karneval. Er schrieb 61 Lieder,
darunter das Karussellsche Lied.

Ebenfalls ein Kölner Original: Willi Ostermann (*1. 10. 1876 · † 6. 8. 1936),
er schuf ab 1907 unzählige Lieder, martialische Gesänge im 1. Weltkrieg, hochdeutsche Wein-, Weib- und Gesanglieder bis hin zu Kölschen Personen- und Milieuschilderungen. Er schrieb die Kölner Nationalhymne. Sein Grab wurde 1996 durch die Willy-Ostermann-Stiftung instand gesetzt.

Oder Fit Fries (*13. 3. 1882 · † 3. 2. 1938),
der Begründer und Verleger der Lustigen Kölner Zeitung.

Hans Jonen (*30. 11. 1892 · † 14. 11. 1958) und
Jupp (Josef) Schmitz (*15. 2. 1901 · † 26. 3. 1991)
schufen gemeinsam das Lied, das uns heute immer noch im Ohr ist uns überall in unserem Lande den Kehraus macht:
… Am Aschermittwoch ist alles vorbei …
(Komponist: Jupp Schmitz, Text: Hans Jonen).
Erstgenannter erfreute uns auch mit dem unvergessenen Lied: „Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel …“ .Unvergessen.

Der „Immi“ Horst Muys (*13. 7. 1925 · † 20. 7. 1970)
hinterließ uns „einen Besuch im Zoo“.

Nicht zu vergessen:
Ferdi Leisten (*2. 3. 1914 · † 6. 3. 1995),
mit das Herz des Kölner Karnevals, von 1963–1973 Präsident des Festkomitees Kölner Karneval, u. a. Prinz im Dreigestirn 1959 und Ehrenpräsident mehrerer Karnevalsgesellschaften.

Und Heri Blum, de „Ärme Deuvel“ (*29. 12. 1939 · † 18. 7. 1997),
der 38 Jahre lang auf rund 3000 Sitzungen für uns den Karneval belebte,
1. Rede war die Pfarrsitzung von St. Bonifatius, hoch dekoriert vom Bürgerausschuss Kölner Karneval, des Festkomitees und der Ehrengarde. Auf seinem Grabstein steht geschrieben: „Der Heri, dat wor ene Jode"
Prof. G. Herkenrath St. Alban


Literarische Quellenangabe:
Melaten, Kölner Gräber und Geschichte, Autoren: Josef Abt/Joh. Beines/Celia Körber-Leupold, 2. Aufl., Sept. 1997, erschienen im Greven Verlag Köln

Kommentare 8

  • Günter Walther 24. März 2016, 11:23

    Eine sehr interessante Doku in Bild und Text zum Kölner Karneval.
    MfG Günter
  • Manfred Geisler 9. Februar 2002, 10:40

    Hallo Sabine,

    muß ja sehr gut gewesen sein. Wollte ansich auch vorbei kommen, war aber mit Marco an dem Sonntag im Eisenbahnmuseum.
    Auf dem Bild sieh man deutlich den Andrang. Ist mal ein frohes Bild .

    Gruß Manfred
  • Horst Lehmitz 7. Februar 2002, 18:19

    Hallo Sabine!
    Vielen Dank für Deine unendliche Mühe die Du dir gemacht hast.Ein Highlight in der FC.Ich drucke es mir gerade aus.
    Gruss Horst L.
  • Michael Heinbockel 6. Februar 2002, 21:39

    Oh, nit für Kooche, Lück,
    bliev ich Karneval he.
    Nä, ich verpiss mich hück,
    ich maach nit met dobei.

    Ich will fott sinn,
    wenn weiß wer op "aufjeklärt" mäht
    un sing Klosprüch als Wetz jetarnt och,
    wenn der letzte Verklempte mir't "Du" ahnbeet
    un se eimohl em Johr och sprich – ming Sprooch.
    Ich kann echt nit drövver laache,
    wenn die froore, die sons nix
    ohne Schlips un Kraare maache,
    ob ihr Pappnaas richtig sitz.

    Die Vereinsmeier hann dann ihr Hochkonjunktur,
    Uniform-Fetischiste ald jraad.
    Mööch nit wisse,
    wievill noch dobei sinn vun domohls - wievill,
    die jetz scheiß-liberal bess bierernst
    ihr Traditione met dämm Mief vun dausend Johr konserviere
    un betone, dat se klüngele, wöhr janit wohr.

    Wenn die Kleinigkeitskrämer als Weltmeister jonn – klar,
    ihr Beistellfrau blieht schön doheim – un em Suff sich beklaare,
    die däät nix verstonn un dann fremdjonn – natürlich jeheim.
    Die sich versööke ze belüje,
    sich wießzemaache, su jing "Frei".
    t'schärfste ess, wenn die dann singe:
    "Ahm Aschermittwoch ess alles vorbei...".

    Andrerseits ess dat praktisch,
    dat muss ich jestonn:
    Jed Verhalten sortiert, wie'n Kartei,
    Stechuhr – Weihnachte, schwazz,
    wenn wer stirv – op die Tour
    kütt dann jed Jeföhl clean ahn de Reih.

    Wesst ihr wat, Lück? Ihr künnt mich.
    Ich benn jeck wie ich will t'janze Johr.
    Wenn ihr wollt, leckt mich quer,
    ävver schmiert üch ühr Kompensation unger üch en de Hohr.

    Nit für Kooche - BAP "Vun drinne noh drusse", 1982
  • Elisabeth Heidegger 6. Februar 2002, 21:19

    Ich kann es fast nicht glauben - Karneval auf einem Friedhof - aber nachdem ich deine hochinteressanten Ausführungen gelesen habe, bin ich von der Idee angetan.
    Das Foto gibt sehr schön die Situation wieder.
    Ganz lieben Gruß
    Elisabeth
  • Ilse Rüttgers 6. Februar 2002, 20:59

    Sabine, da hast Du uns einen interessanten Bericht vorgesetzt. Vielen Dank
    Gruß Ilse
  • Petra Dindas 6. Februar 2002, 20:09

    ...wer hätte das gedacht.... Klasse recherchiert und ein passendes Bild dazu;
    liebe grüße die d'rose
  • Franz Schmied 6. Februar 2002, 18:19

    deine Bilder sind nicht nur sehenswert
    sie sind Bildung und Literatur!
    alle Achtung!
    sfrz