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Leipzig, Paulinerkirche: 1910, 1968, 1990, 2012

Leipzig, Paulinerkirche: 1910, 1968, 1990, 2012

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smokeonthewater


Premium (World), Berlin

Leipzig, Paulinerkirche: 1910, 1968, 1990, 2012

Neben St. Michael in München, der größten Renaissancekirche nördlich der Alpen, hatte nur die Leipziger Paulinerkirche als vergleichbares Bauwerk den Zweiten Weltkrieg überstanden. Kein Geringerer als Martin Luther hatte die Kirche 1545 evangelisch geweiht.

Weil nach Meinung von Walter Ulbricht (damals Staatsratsvorsitzender der DDR und SED-Chef) diese "Universitätskirche" nicht ins kommunistische Selbstverständnis der Karl-Marx-Universität Leipzig passte, wurde sie am 30. Mai 1968 gesprengt.
Dieser beispiellose Akt von Kulturbarbarei war einer der "Sargnägel" für das DDR-Regime.
Die Leipziger haben diesen Verlust bis heute nicht verwunden.

Viele Bürger protestierten damals gegen die Sprengung und wurden dafür für mehrere Jahre ins Gefängnis gesteckt.
Die kleine Bildfolge in der Mitte zeigt den Verlauf der Sprengung. Hinter dem in sich zusammenbrechenden Kirchenschiff taucht der dicke Turm der Nikolaikirche auf – ein Menetekel! Denn 1989 gingen von dort die Friedensgebete und Montagsdemos aus.

An der Stelle der Kirche errichtete die DDR ein Seminargebäude für die Uni und befestigte daran ein größenwahnsinniges Massivkupferrelief mit Karl-Marx-Porträt. Nach der Wende wurde um das "Kunstwerk" ein Stahlgerüst mit der Silhouette der Ostfront der Paulinerkirche angebracht.

Ein authentischer Wiederaufbau, etwa wie die Dresdner Frauenkirche, wurde nach der Wiedervereinigung verworfen. Stattdessen wurde der holländische Architekt Erick van Egeraat beauftragt, ein modernes "Paulinum" zu bauen, das an die frühere Architektur erinnert.
Der neue Dachreiterturm ist mit einer leichten Neigung versehen, mit Bezug auf sein seitliches Niedersinken bei der Sprengung 1968 (links).

Fotoquellen SW: paulinerkirche.org, anonym/privat, Robert-Havemann-Gesellschaft
Fotoquelle Farbe: DAvE LE

Kommentare 15

  • smokeonthewater 27. Mai 2014, 14:57

    Die Kirchenfakultät ist Gründungsfakultät der Uni. Geschichte lässt sich nicht so leicht ignorieren.
  • GelaN 27. Mai 2014, 14:30

    Nun hab ich mir einen Wolf gesucht, aber ich hab nur gefunden, das man für eine 500-Eure-Spende eine Plakette an einem Stuhl kaufen kann.
    250 Millionen Euro kostet der Bau, dann sollte es für den Paulinerverein mit Stuhlschildchen ein einfaches sein, das Gebäude auf seinem Grund zu bezahlen und mitsamt der Kirchenfalkultät aus der Uni herauszulösen.
    Dann redet wenigstens kein unqualifizierter Rektor, der Möglicherweise auch noch Atheist ist, rein.
    Und für die Wissenschaftsfakultäten kann man dann noch bessere Studienbedingungen schaffen.
    Denn in einem Rohstoffarmen Land ist Wissen die wertfollste Resource.
  • smokeonthewater 27. Mai 2014, 14:00

    @GelaN: Der Baugrund gehört immer noch der Kirche. Die hat ja die Lösung akzeptiert, obwohl es eigentlich aus ihrer Sicht von der Uni anmaßend ist, dass der Kirche nur ein Andachtsraum zugestanden wird. Übrigens hat auch der Paulinerverein Geld gespendet und damit Mitspracherecht erworben. Und noch einmal: Die Thomas-, Nikolai- und Trinitatis-Gemeinden haben nichts mit dem Nutzungszweck der Paulinerkirche gemeinsam. Es ist nun eben nur ein Andachtsraum, der den christlichen Studenten der Theologischen Fakultät zur Verfügung steht, und die gehören nicht zu einer der ansässigen Leipziger Gemeinden. Das hat also auch mit der sinkenden Mitgliederzahl der Kirchen nichts zu tun.
  • GelaN 27. Mai 2014, 13:33

    Eine "Weihe" verwandelt einen Raum in einen Andachtsraum,
    Eine Aula ist aber eine Aula und kein religiöser Andachtsraum! Dafür gibt es Kirchen... und die Ausreichend, mehr als es Mitglieder gibt.

    Und dieser Saal ist als Aula geplant und gebaut, mit einem abgeteilten Andachtsraum, der genau diese von dir geforderten Ansprüche erfüllt. Das sind schon Zugeständnisse, die weit über das normale Mass hinausgehen!
    Die Aula selber soll also auch eine bleiben!
    Es ist anmassend, das ewig Gestrige die Finger nach einem Bau ausstrecken, der von Steuergeldern bezahlt wurde, von den gleichen Steuiergeldern übrigens, die den Andachtsbereicht bezahlt haben!
    Ich glaub nicht, das die vorhaben, die Baukosten den Steuerzahlern zurückzuerstatten.
  • smokeonthewater 27. Mai 2014, 11:03

    @GelaN: Wie kann eine Aula, die bislang nicht existiert hat, eine Aula einer freien Universität BLEIBEN? Sie kann bestenfalls eine Aula einer freien Universität WERDEN. Und das wird sie ja auch, denn die Leipziger Uni ist eine freie Universität, auch mit Theologischer Fakultät (das gehört zur Freiheit dazu), die das Recht hat, auf Unigelände über Raum für Gottesdienste zu verfügen, wie auch naturwissenschaftliche Fakultäten über Labore verfügen.

    Man darf auch die juristische Seite nicht vergessen, dass der Neubau auf Kirchengrund steht. Es ist eine Anmaßung des Rektors und von einigen Atheisten, dies zu ignorieren. Dabei ist es unerheblich, wie viele Kirchen ringsherum (ent)stehen. Hier geht es auch um rechtsstaatliche Korrektheit.

    (Der Kirchenneubau am Leuschnerplatz ist übrigens ein Ersatzbau für die katholische Gemeinde St. Trinitatis, deren bisheriger Bau abgerissen werden muss. Dies steht in keiner Beziehung zu den beiden großen evangelischen Kirchen mit einer festen Gemeinde.)

    "Die Leipziger Bürger", die "weiter dafür kämpfen", sind nur eine Minderheit. Du vereinnahmst hier gleich mal all die Bürger, die das Gegenteil wollen, nämlich durchaus eine Aula, die zugleich geweihter Kirchenraum ist. Was ist denn daran so problematisch? Die Weihe ist doch keine ansteckende Krankheit! Andersherum wird die Kirche in diesem Raum ganz sicher weltliche Symbole problemlos dulden. Freiheit ist immer auch die Freihet der Andersdenkenden, also sollte man der Kirche hier mit mehr Respekt begegnen. Immerhin ging dieser ganzen Sache unsägliche Kulturbarbarei und Vernichtung von Kircheneigentum voraus. Das lässt sich nicht mit "Geschichte" abtun, wenn die Möglichkeit einer Wiedergutmachung besteht.
  • GelaN 27. Mai 2014, 9:57

    Und es nimmt kein Ende
    Die ewig Gestrigen des "Paulinervereins" strecken ihre gierigen Finger weiter nach dem gesamten Bau aus, wollen sich nicht mit dem Vertraglich vereinbarten Andachtsraum zufrieden geben. Wollen Ihren Altar mitten in die Aula pflanzen.
    Die Leipziger Bürger kämpfen weiter dafür, das ihre Aula eine Aula einer freien Universität bleibt und nicht zur Kirche umgewidmet wird, in Nachbarschaft von 2 weiteren riesigen Kirchen im Umkreis von wenigen 100m und einem gewaltigen Kirchenneubau neben dem Rathaus bei weiter massiv sinkenden Zahlen von Kirchenmitgliedern.
    Irgenwann sollte man Abschied nehmen von Ruinen und Platz machen, für ein neues, Weltoffenes Leipzig, Der Kirchenbau ist Geschichte, genau wie Ulbricht, und die Architektur sollte als Erinnerung ausreichen!
  • Hans Mentzschel 9. November 2013, 6:31

    Dein Diskurs mit utico ist ja wirklich Literatur.Ich war zur Zeit der Sprengung der Unikirche schon "im Westen", habe nur einen Brief von meinem entsetzten Vater erhalten, in dem er davon (verschleiert) berichtete.-
    Deine Meinung zum neuen Baustil teile ich. Außerdem gehört an ne Uni mit theologischer Fakultät natürlich eine Kirche.Ich bin nur um die neue Kirche herumgeschlichen, war noch nicht drinnen.
    LG Hans Me.
  • smokeonthewater 17. September 2012, 12:56

    utico, wenn wir etwa das gleiche Alter haben, dann scheint an Dir sowohl das reale Leben in der DDR als auch seine geschichtliche Aufarbeitung völlig spurlos und unreflektiert vorüber gegangen zu sein. Hast Du im luftleeren Raum gelebt oder privilegierten Kreisen angehört?

    Natürlich waren die Menschen übervorsichtig, die Kirchensprengung öffentlich zu diskutieren, erst recht nicht in der Schule; als "Belohnung" hätte für die Lehrer Knast gewinkt. Ich habe trotzdem damals schon, mit 8 Jahren, bewusst erlebt, was in Leipzig und im selben Jahr in Prag abging. Mütter in der Nachbarschaft, die ihren Sohn gerade im Armeedienst hatten, waren ängstlich, dass er zur Niederschlagung des Prager Aufstands verlegt wird. Ulbricht war ganz geil drauf, dort einzumarscheren; die Sowjetarmee hat das "zum Glück" allein erledigt, sonst könnten wir Deutschen uns heute nicht mehr bei unseren tschechichen Nachbarn blicken lassen, nachdem wir schon 1939 in Prag einmarschiert waren.

    Und ich ziehe sehr wohl Vergleiche mit den Nazis heran. Nicht inhaltlich, aber in der Wahl der Mittel und äußeren Erscheinungsbilder. Dabei weiß ich sehr wohl, dass Hitler sich zuerst bei der organisierten deutschen Arbeiterbewegung "bedient" hat: uniformierte Kinder, Geländespiel, Lagerfeuer, Fackelzüge, rote Fahnen und Fanfaren, Plakatkunst – das waren propagandisitische Formen, die Hitler von den Kommunisten abgeschaut hat und nicht nur von den italienischen Faschisten.

    Alles andere aber hat die DDR-Führung von Hitler übernommen: die NVA-Uniformen waren fast identisch mit den Wehrmachtsuniformen, bis hin zu den Rangabzeichen; die geheimdienstliche Überwachung der eigenen Bürger (Gestapo/Stasi); die Todesstrafe (in beiden Diktaturen für politische Gefangene angewendet) und überhaupt das Verurteilen und Einsperren aus politischen Gründen; die Rechtsbeugung vor Gericht; der Personenkult um Partei- und Staatsführung; das Vereinen von absoluter politischer und militärischer Machtfülle in einer einzigen Person (Hitler/Honecker); die Unterdrückung Andersdenkender einschließlich der Kirche; die totale Kontrolle über die Medien. Ja, und auch die "Sippenhaft".

    Und dabei können wir noch froh sein, dass wir selbst in der harten stalinistischen Ära in den 50er Jahren keinen Stalinismus pur hatten. Stalin hat zu Tausenden suspekte Mitglieder der eigenen kommunisitschenen Partei liquidiert, einfach so, aus Verfolgungswahn. Das ist uns zum Glück erspart geblieben.

    Sollte Dir das alles bisher entgangen sein? Ich kann's kaum glauben.
  • Zwecke 17. September 2012, 8:08

    Ein interessantes Streitgespräch :-)
    LG Horst
  • smokeonthewater 17. September 2012, 0:08

    utico, Du scheinst zu den paar Romantikern zu gehören, die die DDR durch die rosarote Brille sehen, weil sie die Zeit noch nicht bewusst erlebt haben oder erst nach der Wiedervereinigung geboren sind. Die haben keinen Bezug dazu, weil sie nicht die ganze Wahrheit kennen und nur die damalige stärkere soziale Gerechtigkeit als heute in der Bundesrepublik zur Kenntnis nehmen wollen.

    Hier geht es aber auch um Wiedergutmachung von stalinistischem Unrecht. Wer gegen die Kirchensprengung protestiert hat oder sonst kritische Worte gegen die DDR-Führung öffentlich oder schriftlich hervorbrachte oder politische Witze verbreitete, wurde damals für mindestens 18 Monate in den Knast gesteckt – vor allem ins "Gelbe Elend" in Bautzen.
    Farbe Gelb - Das "Gelbe Elend" in Bautzen, ehem. Knast für politische Gefangene
    Farbe Gelb - Das "Gelbe Elend" in Bautzen, ehem. Knast für politische Gefangene
    smokeonthewater

    Unter Honecker ging es dann zwar weniger stalinistisch zu, aber die Stasi-Überwachung wurde immer intensiver. Die Bürger wurden mit Wehrdienstpflicht bis zum 60. Lebensjahr (!) genervt (alle 2 oder 3 Jahre für ein paar Monate Reservedienst!).

    Die Kinder wurden mit Wehrkundeunterricht beizeiten an militärischen Stumpfsinn herangeführt. Wenn die Eltern dagegen waren, durften die Kinder später kein Abitur machen oder studieren. Unter den Nazis hieß so was "Sippenhaft", die DDR hat's nachgemacht.

    Kein Wunder, dass die Institution Kirche sich als Keimzelle der friedlichen Revolution herausbildete. Schon das ist ein Grund, auch heute eine Kirche zu bauen. Friedensgebete sind vielleicht eine etwas andere Ausdrucksform als linke Demos, aber die Ziele waren und sind gleich.

    Vielleicht willst Du jetzt auch diese Universitätskirche. Keiner verlangt, dass Du reingehst. Es genügt schon, wenn Du die wiederhergestellte architektonische Silhouette akzeptierst.

    Ich wette, Du hättest damals, bei der Kirchensprengung, auf der Seite der Protestierer gestanden.
  • smokeonthewater 16. September 2012, 14:29

    @utico: Wie gesagt, wegen inkompetenten Reingeredes solcher Wichtigtuer hat sich der Neubau verzögert. Ich weiß nicht, welchen Rektor Du meinst, aber solche Typen sind nicht besser als diejenigen, die aus den Reihen der Uni-Führung seinerzeit die Sprengung befürwortet haben. Solche Rektoren sind ihres Amtes unwürdig.

    Und es ist eben ein Unterschied, wenn 500 000 Leipziger eine Kirche wiederhaben wollen, weil dort schon 400 Jahre lang eine Kirche stand, oder ob sich ein für 4 Jahre gewählter Rektor mal eben als kleiner Gott zu Wort meldet, indem er gegen die Leipziger Bürger votiert. Außerdem war die Uni 1409 auf dem Gelände eines Klosters gegründet worden.

    Ungeachtet dessen haben alle Universitäten, die eine Theologische Fakultät führen, auch eine Kirche. Die Leipziger Th. Fak. hat sogar während der DDR-Epoche bestanden. Da braucht niemand einen solchen Besserwisser, der glaubt, dass keine Kirche nötig sei. Dabei ist es so was von unerheblich, ob ein Rektor gläubig ist oder nicht. Er soll einfach nur seinen Job machen.
  • smokeonthewater 16. September 2012, 10:51

    @Jürgen: Über den Neubau ist die Meinung geteilt. Ich gehöre zu denen, die das neue architektonische Ensemble gut finden. Dazu muss man wissen, dass mehrere Gebäude dahinter, die einen Campus bilden, dazugehören und im wesentlichen dem Grundriss der alten Klosteranlage und den späteren historischen Unigebäuden folgen. Auch die Andeutung des einstürzenden Turms ist begrüßenswert. Ich bin sicher, dass dieser Komplex ein Wahrzeichen von Leipzig wird.

    Die eigentliche Sünde war die Sprengung der unversehrten Kirche. Damit stelle ich Walter Ulbricht und seine SED-Vasallen auf dieselbe Stufe wie die Taliban, die 2001 die Buddha-Statuen von Bamiyan (Weltkulturerbe) gesprengt haben.
  • smokeonthewater 16. September 2012, 10:42

    @utico: Wegen dieser Kirche, die größtenteils als Aula genutzt werden soll, sind so manche Verantwortliche und selbsternannte Experten vom Stuhl gefallen. Eine Liste von Versagern und Schaumschlägern.

    2001 war der Architekturwettbewerb ausgeschrieben worden, den der Holländer Eggeraat gewann. Dann erfolgten Zeit- und Kostenplanung – immer mit dem Ziel, anlässlich der 600-Jahr-Feier der Alma Mater Lipsiensis 2009 fertig zu werden.

    Wie nicht ganz untypisch für Universitäten, redeten alle rein, ohne jedoch kompetent zu sein. Niemand verfügte über die Erfahrung, die eigentlich jeder Ottonormalverbraucher hat: Ein Großprojekt wird nie zum Termin fertig und kostet immer mindestens dreimal so viel wie veranschlagt. So auch hier. Die Feier fand dann auch unter Baustellenbedingungen statt. Für zusätzlichen Zeitverzug hatte der Architekt gesorgt, der wegen des Reingeredes mit der Uni wohl immer noch im Rechtsstreit liegt. Hauptgrund: Über die Nutzung des Gebäudes und somit seine Innengestaltung konnte lange keine Einigkeit erzielt werden – und das seit 2001!
  • Zwecke 16. September 2012, 6:40

    Deine Collage ist hoch interessant und verbunden mit dem Text, würde mir heute noch die Galle hoch kommen, wenn ich eine besitzen würde.
    Dir einen schönen Restsonntag und erfreune wir uns auch an schönere Dinge.
    LG Horst
    Vor langer Zeit (6)
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    Zwecke