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Elsass (Mittelbergheim)

Elsass (Mittelbergheim)

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Elsass (Mittelbergheim)

Mittelbergheim

Der Wein in den Fässern aus rheinischer Eiche schläft.
Die Kirchenglocke zwischen den Weingärten Mittelbergheims
Weckt mich. Ich höre die kleine Quelle
Plätschern im Zuber im Hof, das Klappern
Der Holzschuhe auf der Straße. Der trockene Tabak
Unter dem Dachfuß, die Pflüge und Holzräder
Und die Berghänge und der Herbst sind bei mir.

Noch hab ich die Augen geschlossen. Feuer, Gewalt, Kraft,
Treibe mich nicht, denn es ist noch zu früh.
Ich habe viele Jahre durchlebt und gefühlt wie in diesem
Traum, dass ich an die bewegliche Grenze rühre,
Hinter der Farbe und Klang sich erfüllen
Und wo dieser Erde Dinge zueinander finden.
Noch öffne mir nicht meinen Mund mit Gewalt,
Lass mich vertrauen, glauben, dass ich es erreichen werde,
Und lass mich rasten in Mittelbergheim.

Ich weiß, ich sollte. Herbst und Holzräder und die Tabak-
Blätter unter dem Dachfuß stehen mir bei.
Hier und überall ist mein Land,
Wohin ich mich wende, in welcher Sprache ich auch
Das Kinderlied, das Gespräch eines Liebespaares
Höre. Mehr als die anderen glücklich, nehme ich auf
Den Blick, das Lächeln, den Stern, die Seide,
Die auf der Linie des Knies sich faltet. Heiter, offenen Blicks
Soll ich durch Berge gehn, im milden Glanzlicht des Tages
Zu Städten, Wegen, Gewässern, Sitten, Gebräuchen.

Feuer, Gewalt, Kraft, die du mich
In der Handfläche hälst, deren Furchen
Wie riesige Schluchten sind, vom Südwind
Geglättet, die du Sicherheit gibst
In der Stunde der Angst, in den Wochen des Zweifelns;
Es ist noch zu früh, mag reifen der Wein,
Die Reisenden mögen schlafen in Mittelbergheim.

(Czeslaw Milosz)

Kommentare 23

Das Foto befindet sich nicht in der Diskussion. Deswegen kann es aktuell nicht kommentiert werden.

  • Hanne L. 18. April 2010, 22:48

    Ich empfinde Ablehnung durch die geschlossene Luke, möchte sie zu gerne öffnen und nach innen schauen ...
    Zusammen mit dem Text eine besinnliche Präsentation.
    Liebe Grüße und einen guten Start in die neue Woche, Hanne
  • † werner weis 2. Oktober 2009, 9:47


    wunderbar besinnlich das Gedicht
    ausgereift fotografiert das Motiv
    was will man mehr
  • Kerstin Stolzenburg 28. Dezember 2007, 20:13

    ... bereits gefunden und gelesen ;-))
    Meine Anmerkung dazu kommt wieder etwas später. Ich möchte Deinen Text erst durchdenken bzw. auf mich wirken lassen.
    Kerstin
  • E. W. R. 28. Dezember 2007, 19:52

    ... welche sich unter dem betreffenden Bild befindet. Eckhard
  • E. W. R. 27. Dezember 2007, 17:07

    Vieles von dem, was Du darin gesehen hast, sah ich auch. Wie gesagt, es kommt noch die ausführliche Anmerkung. Eckhard
  • E. W. R. 27. Dezember 2007, 14:33

    Liebe Kerstin,

    ich antworte Dir noch ausführlicher; auch das braucht Zeit. Eckhard
  • Kerstin Stolzenburg 27. Dezember 2007, 8:47

    Lieber Eckhard,
    Dein Bild "Traumreise" hat mich wirklich sehr berührt, das steht nicht nur einfach so da. Ich konnte den Text auch erst nach zwei Tagen schreiben, vorher war das Bild in meinem Kopf, ich habe es mit mir "herumgetragen".
    Wenn ich Dir mit der Besprechung eine solche Freude machen konnte, freut es mich selbst natürlich um so mehr.
    Eigentlich war die Anmerkung ja auch nur als ein erster Diskussionsansatz gedacht. So ein vielschichtiges Bild bräuchte mehr Zeit und vor allem mehr Menschen, die sich an einer Besprechung beteiligen.
    Wie hast Du dieses Bild überhaupt selbst gesehen?

    Kerstin
  • E. W. R. 26. Dezember 2007, 17:49

    Liebe Kerstin,

    die Etymologie ist genau die, welche Du wiedergegeben hast. Was nun die Fenster betrifft, gibt es leider auch solche, die dermaßen verrammelt sind, dass man nicht hoffen kann, sie jemals aufzubekommen. Ich nehme aber an, dass es auch solche gibt, die vielleicht von innen geöffnet werden können, erst einen Spalt, hinter dem jemand einen vorsichtigen Blick riskiert, und dann immer weiter.

    Was die Augen betrifft, könnte ich ein Bild einstellen, will aber damit etwas warten, weil erst noch einige andere Bilder kommen wollten.

    Du hast mir ja ein wunderbares Weihnachtsgeschenk durch die Besprechung des Bildes "Traumreise" gemacht; dafür danke ich Dir sehr herzlich.

    Eckhard
  • Kerstin Stolzenburg 26. Dezember 2007, 11:22

    Lieber Eckhard, die sprachlichen Erläuterungen zum Begriff Fenster sind für mich sehr interessant.
    Ich möchte noch einmal Bezug nehmen auf den folgenden Satz in Deiner Besprechung:
    „Auf diesem Weg mag die intensivste Form der Zugewandtheit entstehen, für die es im Deutschen ein schönes Wort gibt, das etymologisch auch mit „erlauben“ zusammenhängt.“
    Spätestens seit meiner Reaktion auf Deine Anmerkung zur Fantasie unter Carstens Bild „gelüftet: das Geheimnis um das Verschwinden der Mary Poppins“ weißt Du ja, dass Du mich durchaus mit solchen Dingen hinter „Kerzenständern“ und anderen „Ortschaften“ hervorlocken kannst ;-))
    Als Nichtsprachwissenschaftler und ganz gewöhnlicher Nutzer unserer Sprache stellt eine solche Anmerkung für mich schon eine kleine Herausforderung dar (welche ich jedoch gern angenommen habe und die mir viel Spaß gemacht hat). Vielleicht war das von Dir sogar so gewollt, vielleicht vom „Fachmann“ jedoch auch einfach "nur" voraussetzend in den Text gestreut. Natürlich hatte ich eine Vermutung, es lag nahe, vom Begriff „Liebe“ auszugehen, ich hätte mich aber auch täuschen oder den Ansatz falsch interpretieren können (was auch immer noch möglich ist). In Ermangelung diesbezüglich geeigneter Nachschlagewerke in meiner privaten Büchersammlung musste ich mich leider mit dem Internet begnügen, welches in einer solch speziellen Frage als Informationsquelle jedoch auch nicht wirklich übersichtlich und ergiebig ist.
    Aber ich habe etwas gefunden, was meine Vermutung bestärkt und den Zusammenhang zum Begriff „erlauben“ belegen könnte. Wenigstens wird der Wortstamm in beiderlei Bezug aufgeführt.
    Ausgehend vom „Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (online)“ und weiter im „Online Etymology Dictionary“ habe ich den Begriff „leubh“ gefunden, der wiederum in „Pokorny's dictionary“ auszugsweise wie folgt erläutert wird: „Number: 1185; Root: leubh-; German meaning: `gern haben, begehren; lieb', z.T. mit Entwicklung von `gern haben' zu `gutheißen, loben', im germ. auch von `Liebe' zu `Zutrauen, Vertrauen, Glaube'; Derivatives: leubho- `lieb; Verlangen'; Material: Ai. lubhyati `empfindet heftiges Verlangen, lobhayati `erregt Verlangen' (formell = germ.*laubjan, das aber Denominativ zu *lauba-, ags. leaf), lobha- m. `Verlangen, Gier' (= ags. leaf usw.), lubdha- `gierig, ausschweifend; lat. libet, älter lubet, -ere, -uit, -itum est `es beliebt, ist gefällig', lubens, libens `gern, willig', lubido, libido `Begierde'; osk. loufir `vel' (vgl. abg lubo - lubo `vel - vel'); got. liufs, aisl. liufr, ahd. liob, ags. leof `lieb' (= abg. lubh;); davon abgeleitet *liuben `lieb sein, gefallen' in ags. leofian, ahd. mhd. liuben; *liubjan in ags. ge-lyfan, ahd.(ga)liuben, ursprünglich `lieb machen'; got. galaufs `begehrenswert, schätzbar, wertvoll'; ags. leaf `Erlaubnis', ahd. urloub (und urlub) `Urlaub'; got. Denom. ga-laubjan `glauben', us-laubjan `erlauben', aisl. leyfa (Denom.) `erlauben; loben'; ahd. gilouben `glauben', irlouben `erlauben', ags. liefan, a-liefan `erlauben', geliefan `glauben'; aisl. lof n. `Lob, Erlaubnis', ags. lof n. `Lob, Preis', ahd. lob n. ds. sind Postverbalia zu aisl. lofa `preisen, gestatten', ahd. lobon (Denom.) `loben, preisen, bewilligen, versprechen', nhd. loben, geloben, verloben; got. lubains `Hoffnung'; ags. lufu, ahd. lupa f. `Liebe', davon *lubon in ags. lufian, ahd.lubon `lieben', ahd. gilubida `Gelübde'; References: WP. II 419, WH. I 793 f., Wissmann Postverbalia 37 ff., 80 f.
    Anbei die Quelle, da nicht alle Zeichen richtig übernommen wurden: http://starling.rinet.ru/cgi-bin/response.cgi?root=config&morpho=0&basename=%5Cdata%5Cie%5Cpokorny&first=1181

    Kann eine solche laienhafte Herleitung Bestand haben?
    Für mich war in diesem Kontext grundsätzlich erstaunlich und interessant, was da überhaupt so alles auf gemeinsamen „Wortstämmen“ aufbaut …

    Die inneren Fenster zu öffnen, ist keine selbstverständliche Sache. Die Bereitschaft dazu und die Voraussetzungen diesbezüglich sind von Mensch zu Mensch verschieden. Es werden elementare Grundsätze berührt, insbesondere der Einblick in die persönliche Denk- und Gefühlswelt, verbunden auch mit dem Bewusstsein einer zunehmenden Verletzbarkeit mit zunehmender Öffnung, begleitet aber auch durch wachsendes Vertrauen, Zugewandtheit und Vertrautheit mit den entsprechenden Möglichkeiten.
    Es ist wunderschön, wenn das gelingt und wenn eine solch intensive Annäherung der Seelen spürbar wird.
    -
    Manche Fenster haben dazu jedoch vielleicht gar keine Chance, weil ihre Zeit entweder abgelaufen ist oder sie in Zwängen stecken, die eine Öffnung vorübergehend oder grundsätzlich unmöglich macht. Ich habe dazu ein Foto in meinem Archiv gefunden, was neben der negativen Aussage kaum noch Positives oder Hoffnung erkennen lässt.


    Vielleicht sollte man neben den Aufnahmen von Fenstern als solchen sogar einmal eine entsprechende Fotoserie zu Augen machen, die ja bekanntlich ebenfalls als Fenster zur bzw. Spiegel der Seele bezeichnet werden.

    Kerstin
  • Kerstin Stolzenburg 24. Dezember 2007, 19:45

    Lieber Eckhard,
    welch eine Überraschung, diese schöne und interessante Besprechung gerade heute zu finden! Ganz herzlichen Dank für dieses wundervolle Weihnachtsgeschenk, mit dem ich nicht gerechnet habe und über das ich mich um so mehr freue.
    Ich antworte nach den Feiertagen ausführlich.
    Kerstin
  • E. W. R. 24. Dezember 2007, 12:29


    Der Forscher R. Meringer hat angenommen, dass die alten germanischen Bezeichnungen gotisch „augadauro“, althochdeutsch „augatora“ ‚Augentor’, altnordisch „vindauga“ ‚Windauge’, angelsächsisch „êagduru“ ‚Augentor’ und englisch „window“ ‚Windauge’ auf einen augenförmigen Schlitz in der Flechtwand wie in der Blockwand deuten. Ferner hat Hjalmar Falk gezeigt, dass der schwedische Ausdruck „vindu“ etymologisch zum Seemannsausdruck „windoie“ (englisch „winds’ eye“ ‚Auge des Windes’) gehört. Dieser Ausdruck der Seemannssprache bedeutet eine lichte Öffnung in den Wolken, durch die sich entsprechend dem alten Seemannsglauben der Wind Bahn bricht. Der Zusammenhang mit dem Wind zeigt sich auch in den schwedischen Benennungen der Dachluken „vindsglugg“, „vindsfönster“ ‚Windfenster’ wie auch in dem altfriesischen Wort „andern“ aus erschlossenem „anddurin“ ‚Windöffnung’.

    Für die symbolische Interpretation im Volksglauben ergibt sich daraus wohl, gleichgültig ob die augenförmige Schlitzöffnung oder die spätere größere Fensteröffnung im urzeitlichen Dach oder später in der Wand angebracht war, auf jeden Fall, dass dieses alte Fenster Zugloch des Windes und damit gleichzeitig Flugloch der Seelen war. Dazu kommt noch die Bedeutung des alten Fensters als Rauchloch. In den heutigen ostalpinen Rauchstuben werden die kleinen Fensterchen der oberen Reihe als „Dampffenster“ oder „Rauchfenster“ bezeichnet. Dadurch wird auch die Assoziation Rauch > Seele ermöglicht.

    Das Fenster als Flugloch der Seele zeigt sich vor allem bei dem verbreiteten Volksbrauch, das Fenster bei einem eingetretenen Todesfall sofort zu öffnen.

    Das Hinaussehen aus dem Fenster oder das Hineinsehen in das Fenster wird vom Volksglauben unter gewissen Umständen als gefährlich angesehen.

    Abgesehen vom Volksglauben können wir aber das Fenster als Symbol für den Menschen und die Öffnung des Menschen zur Welt ansehen. Diese Fenster können einsam sein,

    Das einsame Fenster
    Das einsame Fenster
    E. W. R.


    diese Fenster können geschlossen sein. Sie können aber auch geöffnet werden, sei es von innen oder von außen oder gegenseitig.

    Gesichert
    Gesichert
    E. W. R.


    Dann gewähren sich Menschen einen Blick in ihre Seelen, und das kann sie einander vertraut machen. Auf diesem Weg mag die intensivste Form der Zugewandtheit entstehen, für die es im Deutschen ein schönes Wort gibt, das etymologisch auch mit „erlauben“ zusammenhängt.

    Eckhard
  • E. W. R. 14. Dezember 2007, 19:37

    Bedeutende Daten - bedeutende Veränderungen :-). Ich habe allerdings bei Dir keinen Minnesang kritisiert, liebe Kerstin, sondern allenfalls bei anderen Leuten. Aber vielleicht können die es gar nicht anders, und man tut ihnen unrecht. Eckhard
  • Kerstin Stolzenburg 14. Dezember 2007, 19:23

    ... alsbald; das freut mich :-)

    Ich habe auch noch einen anderen Ansatz in Deiner Anmerkung herausgelesen. Natürlich kann ich nicht wissen, ob Du ihn auch so gesehen haben wolltest.
    - Es ist schön, wenn Du von Jahren sprichst.

    Um so erstaunlicher, dass ich heute vor genau nur acht Wochen, am 14. Oktober (das mit dem besonderen "Datum" habe ich erst einige Tage später reflektiert), zum ersten Mal bewusst eine ernsthafte Anmerkung unter eines Deiner Bilder geschrieben habe. Vorher war das der schnell erledigte oberflächliche Minnesang, den ich mir abgeschaut hatte, den Du bei mir ja auch zurecht kritisiert hattest.

    Kerstin
  • E. W. R. 14. Dezember 2007, 16:40

    Gut, weil Du's bist, alsbald ;-)). Kann aber nächstes Jahr werden. Eckhard
  • Kerstin Stolzenburg 14. Dezember 2007, 15:28

    Nachdenken ist sehr wichtig, lass Dir Zeit.

    Aber: JAHRE??

    Kerstin

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