Strafen für Selbstportraits in Portofino

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lenmos lenmos Beitrag 1 von 51
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Zitate von hier: https://www.theguardian.com/commentisfr ... r-visitors

Zitat:Portofino, eine der reizvollsten Küstenstädte des Landes, hat gerade ein Gesetz eingeführt, das Touristen davon abhalten soll, für Selfies zu verweilen: Es werden Geldstrafen von bis zu 275 € fällig, wenn sie den Verkehr oder Fußgänger in zwei "roten Zonen" der wunderschönen Bucht behindern.
...
Zitat:In der Vergangenheit sind wir gereist, um unseren Geist zu erweitern und zu bilden. Reisende nahmen Unannehmlichkeiten in Kauf - ein Maultier über die Alpen, ein Klipper über den Golf von Biskaya -, um die Weite der Welt in sich aufzunehmen, um sich vielleicht klein oder verletzlich zu fühlen und um zuzulassen, dass das Wissen anderer Kulturen in ihr Wesen eindringt. Heute scheint sich das alles umzukehren: Das Reisen birgt kaum noch Gefahren oder Risiken, und unsere großen Egos werden einer kleinen Welt aufgezwungen. Die Orte sind nichts weiter als die Kulisse für unsere Selfies, denn wir gehen an Orte, nicht um von ihnen zu lernen, sondern nur, um zu posten und vor anderen damit zu prahlen, dass wir dort gewesen sind.
lenmos lenmos Beitrag 2 von 51
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Dazu passend ein Brief aus dem Jahr 1986 auf italienisch. Es geht um das Schreiben, aber man kann statt schreiben auch einfach fotografieren einsetzen:

https://www.zibaldoni.it/2023/01/03/scr ... r-nessuno/

Da wäre dann der Anfang so ungefähr übersetzt:
Zitat:Lieber Heinrich, es ist notwendig, für "niemanden" zu schreiben, um nicht das Bedürfnis zu haben, einen anderen davon zu überzeugen, uns als bedeutende menschliche Existenzen anzuerkennen.


Und wie jemand dazu schreibt:
Zitat:Der Brief stammt aus dem Jahr 1986: Wer wie ich die 1980er Jahre erlebt hat, weiß, dass es eine Kulturrevolution war.
Plötzlich hörten die Menschen auf, nach innen zu schauen, sondern begannen, ihre Wirkung auf andere zu betrachten.
Damals begann der bis heute andauernde Drift.

Also: Fotografieren für niemanden!

Wer kann das? Darf jemand sagen: "Ich fotografiere für niemanden" und dabei gleichzeitig Fotos im Internet verteilen, ohne dass man es als Lüge bezeichnen muss?
N. Nescio N. Nescio   Beitrag 3 von 51
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Warum schreibt jemand ein Buch? Eigene Gedanken nur für sich selber?
Eremit sein?
Alleine Fußball zu spielen?

es gab mal eine zeit, wo menschen froh waren, wenn ein tischler ihnen einen guten tisch verkaufte. es gab bedarf.
heute mag ein tischler noch so gerne tolle tische produzieren und sich in der oberflächenpolitur zu verwirklichen, aber es braucht niemand den tisch. es gibt zu viele tische am markt.

irgendwann gab es bedarf an fotos. menschen waren interessiert, was neues aus der welt zu erfahren. heute war jeder selber bereits dort und wird aus dem internet überflutet mit news. der bedarf an fotos von fotografen ist marginal.

fotografiert man trotzdem? für wen?
kein bedarf und damit kein positives feedback. keine streicheleinheiten. und wir wissen das. drum zeigen wir keine fotos, sondern phtoshoppen was aus fotos schöneres, als es fotos sind. in der hoffnung, bedarf zu wecken, weil wir bedarf an anerkennung haben. drum machen wir auch selfies, um zu zeigen, daß wir an besonderen orten waren, in der hoffnung, einen hund vor dem ofen hervorzulocken. oder um in der masse der fotografen gesehen zu werden. manche verwende dafür auffälligbelichtungsmeeser, andere stative, wiederum andere große formate. nicht, weil das besser wäre, sondern weil es hoffentlich auffälliger ist. man muß auffallen, um zu wisen, daß man existiert.

brauchen wir fotos, um uns an das eigene erlebte zu erinnern? gibts also eigenbedarf? eigentlich nicht, abgesehen von sondererlebnissen.

die meisten fotos mache ich per handy und schicke sie per whatsapp an leute, die wissen wollen, wie es mir geht. familie, enge freunde. das hat seinen zweck. da gibt es bedarf.
N. Nescio N. Nescio   Beitrag 4 von 51
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aus bedarf wird überangebot und damit konkurrenzkampf und damit wettbewerb in selbstpräsentation.

menschen.
lenmos lenmos Beitrag 5 von 51
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Zitat: N. Nescio 24.04.23, 23:23Zum zitierten BeitragWarum schreibt jemand ein Buch?
Der Schreiber des Briefes war Gianni Celati, der ja Bücher geschrieben hat, die man auch kaufen kann.

Ich nehmen an, dass dieser Niemand keine konkrete Person ist. Keine die man persönlich kennt und von der man sich auch keine Anerkennung erwarten kann. Nicht einmal durch "likes". Für Niemanden zu fotografieren, um frei zu sein von dem Bedürfnis zu gefallen und damit auch frei schaffen zu können, ohne einen Konsens einzugehen. Denn wenn man den Konsens sucht, ist man sich seines eigenen Ziels für immer im Unklaren. (Zitat)

Da ist ein großer Bogen von solchen "abgehobenen" Gedanken, bis zu den Touristen, die an den Orten ihre Selbstportraits machen, um damit anzugeben bzw. zu gefallen. Aber die Verbindung ist da und die Frage ist wirklich, ob da jemand daneben noch Zeit hat, zu sich selbst zu finden, bzw. sich selbst überhaupt noch wahrzunehmen.
N. Nescio N. Nescio   Beitrag 6 von 51
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göthe hatte es nicht notwendig, den faust zu schreiben. er war anerkannt, hatte verläßliches einkommen und ihm war wahrscheinlich nicht fade. und trotzdem schrieb er.
und ich nehme an, er schrieb, weil es ihm gefiel, und nicht, damit er mehr anerkennung kriegt als lessing und co.
irgendwo gibt es einen drang, sich auszudrücken, egal, wie groß der applaus sein wird.
und ja, du und der celati sagten, daß applaus abhängig machen kann. so abhängig, daß er korrumpiert.
N. Nescio N. Nescio   Beitrag 7 von 51
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leute, die selfies machen, kommunizieren nicht mit den einwohnern von portofino, sondern mit den deutschen zu hause. was sollen die millionen touristen auch mit einheimischen kommunizieren? die wären doch total überfordert. immerhin willst du eine currrywurst, weil vielleicht die rossetti zu exotisch sind. weiters weißt du nciht, ob du ausreichend trinkgeld gegeben hast. also klar, sind da die bunten häuschen und die fischerboote. richtig exotisch, was sich da die einheimischen geleistet haben, statt whirlpoos, carports und kugelgrill.
also selfi, rein in den bus und abfahren.

wenn ich beruflich irgenwo hinkam, da wußten die einheimsichen, die ich besuchte genau, was uns verbindet - verhandeln über das gemeinsame projekt. sie luden mich auch privat ein, erzählten aus ihrem leben und wir kannten uns bald persönlich gut.
heute, als tourist, ist die kommunikation mit den leuten in portofino, wann die bootsfahrt startet, was sie kostet. das wars. alles persönliche, private ist hinter einer wand. ist auch anders nicht möglich, bei den massen.


also ist das thema: kommunikation.
Ehemaliges Mitglied Ehemaliges Mitglied Beitrag 8 von 51
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Wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir, dass weniger Selfies gemacht würden. Generell. Ich kann den Wunsch der Selbstinszenierung nicht teilen und empfinde das als einsamen Moment, in dem man das eigentlich Sehenswerte im Grunde verpasst. Einzig als Kommunikationsmittel empfinde ich Selfies als sinnvoll, um den Lieben zu Hause zu zeigen, hey mir geht es hier gut. Ähnlich selten bitte ich meine Familie, sich dekorativ in eine Landschaft zu stellen und auf Kommando zu lächeln, damit ich sie fotografieren kann. Solche Fotos haben für mich keinen Wert, weil sie inszeniert und somit nicht authentisch sind. Aber ich verstehe, dass man damit eine einzigartige Erinnerung an einen Ort schaffen möchte, der durch die Bilderflut fast beliebig geworden ist.
lenmos lenmos Beitrag 9 von 51
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Zitat: N. Nescio 25.04.23, 00:03Zum zitierten Beitragaus bedarf wird überangebot und damit konkurrenzkampf und damit wettbewerb in selbstpräsentation.
Wenn dann auch noch Eifersucht innerhalb einer Gruppe entsteht, läuft es gehörig schief.

Zitat: N. Nescio 25.04.23, 00:14Zum zitierten Beitragirgendwo gibt es einen drang, sich auszudrücken, egal, wie groß der applaus sein wird.
Das mag sein, es wird immer schon der Bedarf bestanden haben, sich zu mitzuteilen. Inwieweit die Antriebsfeder das Streben nach Anerkennung war, ist die Frage. Kommunikation ist dabei ja das Hilfsmittel, nicht die Ursache, meine ich. Wenn man sich bewusst ist, dass man Gefahr läuft, sich zu korrumpieren, ist es ja gut. Man kann ja dagegen steuern.

Und im Tourismus ist das Hauptproblem, dass die Menschen in Massen kommen und sich auch entsprechend daneben verhalten: "und unsere großen Egos werden einer kleinen Welt aufgezwungen."

Eines meiner schönsten langen Wochenenden der letzten Jahre habe ich 2020 in Venedig, während der Pandemie verbracht. Außer ein paar Einheimischen, waren kaum Menschen unterwegs. Man musste auch auf der Straße eine Maske tragen, aber das war ein schmaler Preis für den Luxus, dass man vielleicht doch etwas von der Stadt, bzw. was davon übrig ist, mitbekommen hat. Man musste da nicht einmal mit jemandem sprechen. Einfach zu sehen, dass da doch noch Menschen wohnen und arbeiten, war schon etwas. Und wir haben keine Selfies und auch keine anderen Fotos nach Hause geschickt, wir sind wohl nicht am Puls der Zeit. ;)


Burano Burano lenmos 25.04.23 2
lenmos lenmos Beitrag 10 von 51
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Zitat: N. Nescio 24.04.23, 23:23Zum zitierten BeitragEremit sein?
Alleine Fußball zu spielen?

Das Schreiben (oder Fotografieren) "für niemanden" soll ja nicht Einsamkeit suggerieren.

Mit der Übersetzung von "Tutti gli ammiccamenti delle parole" habe ich aber ein Problem, ev. ist so etwas wie Wortgeflimmer gemeint. Augenzwinkern der Worte ergibt eher keinen Sinn. Außer vielleicht, dass man mit Augenzwinkern etwas sagt, dass nicht ernst gemeint, auch geschwindelt ist.

Eine mögliche Interpretation wäre:
Nicht mit einem Augenzwinkern zu fotografieren bedeutet, dass man nicht abwertet was man tut, indem man sich anbiedert um Herzchen zu sammeln. Es ist eine Art und Weise, andere zu respektieren, weil man das Beste bietet oder zumindest versucht, das Beste zu bieten.

In der Fotografie ist die Unehrlichkeit des Zwinkerns jedenfalls offensichtlich: Wände von Bildern, die alle gleich sind, weil die Menschen nicht den Mut haben, ihren eigenen Weg zu gehen, sich zu fragen, was sie sind und was sie eigentlich in dieser Welt machen.

https://www.lightstalking.com/this-inst ... me-photos/
N. Nescio N. Nescio   Beitrag 11 von 51
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!
Ehemaliges Mitglied Ehemaliges Mitglied Beitrag 12 von 51
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Es gibt in jedem Bereich Leute, die eine Bühne brauchen und welche, die Dinge lieber für sich machen. Dass auch letztere hin und wieder mal was (mit)teilen, widerspricht dem Grundgedanken dabei nicht. Egal ob dies Bühne realer oder nur virtueller Art ist.

Ich kann nur sagen: Bravo Portofino! Sollte ich mal wieder hin fahren.
NikoVS NikoVS Beitrag 13 von 51
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Zitat: N. Nescio 25.04.23, 00:14Zum zitierten Beitragirgendwo gibt es einen drang, sich auszudrücken, egal, wie groß der applaus sein wird.

ein schöner und wahrer satz. so hab ich das gestern nach der narkose und aufwachen auch empfunden. applaus gabe es keinen - aber zuhörendes klinik-personal. menschen brauchen menschen und brauchen kommunikation.
NikoVS NikoVS Beitrag 14 von 51
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Zitat: lenmos 24.04.23, 22:43Zum zitierten BeitragPortofino, eine der reizvollsten Küstenstädte des Landes, hat gerade ein Gesetz eingeführt, das Touristen davon abhalten soll, für Selfies zu verweilen: Es werden Geldstrafen von bis zu 275 € fällig, wenn sie den Verkehr oder Fußgänger in zwei "roten Zonen" der wunderschönen Bucht behindern.

wichtig ist - dass sie lichtschachtsucher, graufilter und drahtauslöser nicht verbieten
Sarah Tustra Sarah Tustra   Beitrag 15 von 51
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So, wie ich es verstanden habe, geht es wohl vor allem darum, dass Autos anhalten, um schnell ein Foto zu schießen, und dadurch der Verkehr aufgehalten wird. Hat also mit den Fotos nur am Rande zu tun.
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