Zurück zur Liste
Kjells letzter Blick

Kjells letzter Blick

5.683 33

Kjells letzter Blick

Die Dunkelheit kam wie gewöhnlich früh am ersten Dezembersonntag und die Temperatur lag an diesem Nachmittag schon bei -31 Grad.
Mit zerzaustem weissem Haar und offener Jacke öffnete Kjell Johansson, im kniehohen Schnee stehend, das alte verrostete Schloss
seiner kleinen Holzstuga, in dem der wunderschönen eisernen Ofen seines Grossvaters lechzend auf seine Arbeit wartete.

Kjell war 74 Jahre alt und er fühlte, das es vielleicht das letzte Mal war, das er hierher kommen dürfte.
Die ganze Zeit dachte er voller Sehnsucht an Linnea, seine Frau.
Nach 10 Minuten hatte er es geschafft dem Ofen ein knisternes Feuer zu entlockten welches sich wie ein Konzertstück der Natur anhörte
Eine wärmende Entspannung erfasste die kleine Hütte. Kjell lehnte sich in seinen alten, mit Rentierfellen ausgelegten,
hölzernen Schaukelstuhl zurück und begann erneut den Raum seinen Gedanken Linnea zu schenken.
Er dachte an die Zeit in Rom, wo sie in der Via Fillipo Media bei Luigi vor 35 Jahren im Sommer diese sonnensatten Oliven aßen
und den süffigen italienischen Wein aus dem Nachbardorf genossen hatten.
Unvergessen war auch die Woche in Paris, wo er Ihr vor 40 Jahren in dem kleinen Kaffe an der Rue Racine direkt am
Parc des Espaces Verts des Courillieres ein Medallion aus Silber schenkte, welches er in einem kleinem Schmuckladen am Rande der Stadt erwarb.
Es war eine Plastik, wie ein stück Zinn in heisses Wasser geworfen, auf dem das Sternbild der "Nördlichen Krone" graviert war.
Es sollte Ihr ewige Verbindung bleiben und sie über Ihren Tod hinaus wieder zusammenführen - so ihr gegenseitiges Versprechen.
Dieses wunderbare und einzigartige Stück legte er und sein Sohn ihr vor 6 Jahren mit ins Grab als sie plötzlich und unerwartet aus dem Leben schied.
Seit diesem Jahr wurde das Leben für Kjell karg und trostlos, wie die Tundralandschaft überhalb der Erzstadt Kiruna an einem nebeligen Wintertag.
Kjell schaute aus dem Fenster - den warmen, knisternden Ofen im Rücken.
Warm leuchtend stand der Erdtrabant über dem Berg des Nordnebels und deckte das Land in einen pastellfarbenen Mantel der Melancholie.
Die Bäume vor seinem Haus stemmten sich noch kraftvoll gegen die immer schwere werdende Schneelast und das Tal dahinter schien in dem kalten Winternebel zu ertrinken.
Nur die Stille selbst war zu hören. ( Foto )

Als man Kjell im Frühjahr steifgefroren in seiner sonnendurchfluteten Hütte fand, war das Feuer im Ofen seines Grossvaters schon lange erloschen.
Sein Gesicht strahlte trotz der mit Schneekristallen besetzten Haut eine natürliche Zufriedenheit aus, als wenn er irgendwo angekommen wäre, wo Ihn schon jemand freudig erwartete.
Die geballte Faust seiner rechten Hand lag auf seiner Brust - nahe dem Herzen. Als seine Sohn Leif, ein kräftiger Naturbursche aus Kvikkjokk,
sie öffnete fand er eine Kette. Er konnte sich nicht erklären, wie die "Krone des Nordens" in die Faust seines Vaters gelangen konnte,
war er es doch, der das Medallion seiner Mutterauf dem Totenbett um den Hals gelegt hatte. Als er wieder hinaus in die Frühlingssonne trat
schaffte sich in dem kernigen Gesicht ein leichtes Lächeln seinen Platz. Für einen Augenblick fühlte er sich unabhängig und frei von den
alltäglichen Zwängen seines Leben.

"Kommt am Ende doch zusammen was zusammen gehört", dachte er befreit, "wie immer der Lebensweg eines jeden Einzelnen während seiner kurzen, irdischen Existens auch ausehen mag."

So, oder anders könnte es sich bein Blick aus der kleinen Hütte auf dem Bild oben zugetragen haben...


Der griechischen Mythologie nach war die Nördliche Krone die mit Edelsteinen besetzte Krone der Ariadne, Tochter des Königs Minos von Kreta.
Mit Ariadnes Hilfe bezwang der Held Theseus den Minotaurus. Theseus erhielt von ihr einen Faden, mit dem er den Weg aus dem Labyrinth fand,
in dem das Untier gefangen gehalten wurde.

Kommentare 33

  • MK-Photos 3. Dezember 2013, 10:25

    Aus dem nichts entsteht eine Legende, vielen Dank!
  • Claudia Bellinghausen 5. März 2010, 17:05

    ein traumnhaft schönes foto und eine wunderschöne geschichte.

    liebe grüße
    claudia
  • ELEIRBAG 2. Februar 2010, 0:23

    Bin wieder zurück ... entdecke ich Deine neuen Werke... bin davon völlig in den Bann gezogen. Foto und Text sind wieder einmalig gut. VLG Gabriele
  • mildamejla 1. Februar 2010, 18:52

    parade
  • Sigrid Detemple 26. Januar 2010, 12:03

    Beim lesen der Geschichte hab ich eine Gänsehaut bekomen,so sehr hat sie mich berührt.
    Dazu passt das wunderschöne Foto mit den Pastellfarben perfekt.
    lg Siggi
  • Mario Voigt 22. Januar 2010, 9:13

    Sehr schönes Foto und ein ganz besonderes Kompliment für den Text, Andreas. Du hast Fantasie und kannst schreiben. Fotografieren ohnehin.
    Gruß Mario
  • fotoallrounderin 21. Januar 2010, 19:06

    ...schöner kann man dein bild nicht beschreiben, als deine worte im text.... unglaublich mit welch grossartige wortwahl - wie schön du schreiben kannst....deine geschichte ergreift das herz.... denn man kann nachfühlen, was dort mal passiert ist....
    DU solltest bücher schreiben.... ich würde sie allesamt kaufen/lesen....

    pic: märchenhaft.... wunderschön mit dem mond und diesen farbtönen... das bild übermittelt eine unglaubliche ruhe...
    lg rosalie
  • Ciidd 21. Januar 2010, 11:28

    eine wunderschöne Geschichte und ein traumhaftes Bild dazu.
    Liebe Grüße aus der Schweiz ;o)
    Ciidd
  • Stephan.Mertens 20. Januar 2010, 12:47

    Mir gefällt der dichte Nebel im Hintergrund und der unglaublich klare Abendhimmel!

    Gruß,
    Stephan
  • marcus rüter 20. Januar 2010, 10:37

    Solch eine Traumszenerie möchte ich auch gern mal erleben. Licht und Landschaft sind hier wirklich außergewöhnlich gut.

    Viele Grüße,
    Marcus
  • Rosen-rot 19. Januar 2010, 19:28

    Hallo, Andreas!
    Ich vermute mal, Du bist DOCH ein Schriftsteller und hast Dich in die Einsamkeit zurückgezogen, um dort oben all Deine Gedanken und Inspirationen auf Papier bringen zu können!
    (obwohl ich nicht glauben mag, daß Du Kriminalromane schreibst, doch manches Foto mit seiner Geschichte würde da auch zu passen.....:-))

    Wunderschön sind sie alle, Deine Erzählungen! Wir lauschen Dir hier alle ganz begeistert und freuen uns immer wieder auf Deine weiteren herrlichen Fotos und Episoden aus dem Hohen Norden!

    Ein wunderbares Bild,eine wunderbare Geschichte!

    LG Rosi
  • T i n a. M. 19. Januar 2010, 19:22

    Was für eine Landschaft...
    Bild und Text passen wunderbar zusammen..
    LG Tina
  • D. Rio 19. Januar 2010, 18:19

    Eine einzigartige Landschaft,bestens festgehalten !! Gruß Rio
  • Andrea ES 19. Januar 2010, 17:20

    Eine sehr einfühlsame Geschichte und ein tolles Bild dazu.

    Lg AndreaES
  • Anett Kunstmann 19. Januar 2010, 17:17

    ein sehr feiner Blick zum Berg und schön winterlich.
    LG anett

Informationen

Sektion
Views 5.683
Veröffentlicht
Sprache
Lizenz

Gelobt von

Öffentliche Favoriten