Matthias von Schramm


Premium (World), Hamburg

Die Weihnachtstralalakrankheit

Foto 18.12.2008

Eine Weihnachtsgeschichte


Die Weihnachtstralakrankheit

Flach auf dem Bett. Ich habe hohes Fieber. Meine Fingernägel verwachsen sich mit meinen immer weißer werdenden Bartspitzen. Verwachsene Bartspitzen sehen ungeheuer edel aus. Sie erinnern an die Erhabenheit von Partisanenfürsten, welche in Ruhe und mit all ihrer Erfahrung neue Heckenschützenpläne aushecken. Ich trage ein rotes rohes T-Shirt ohne Aufdruck, eine rote Jogginghose und rote Turnschuhe mit diesen weißen Streifen. Ich sehe sauber und glühend aus. Nur in Höhe des Schritts eine verständliche, aber unreinlich wirkende Wichsfleckenapplikation. Man sollte es mir nachsehen, diese Krankheit fordert schon soviel.

Käthe rennt mit Blut verschmierten Händen und Blut verschmierten Brüsten durch die Wohnung. Aufgescheucht, aber triumphierend. Wer weiß, welche Gans sie jetzt schon wieder erledigt hat. Hier in der Nachbarschaft läuft so manch blödsinniges Federvieh herum, welches die Käthe wie eine Furie anspitzt. Mein Zimmer ist angefüllt von Lebkuchenherzen, auf denen „Dein“ und „Mein“ und „Dir“ und „Mir“, also Frieden steht. Durchs Fenster der Geruch von Mandelgebäck und Mangelerscheinungen. Und vor allem überall die Leute mit diesen Fleischspießen für vier Euro zu Happy Hour mit Schuss auf dem Weihnachtsmarkt von Ottensen. Sie duellieren sich mit diesen Spießen aus Schwein oder Pute mit mehr oder weniger eleganten Fechtbewegungen in wehenden Klamotten. Mit 40,5 sehe ich das nicht mehr so klar und mir wird dabei auch schwindelig. Ich liege also da quasi gefesselt mit klopfendem Herzen und klopfendem Arschloch, wehrlos den Plastikschälchen mit Champignons in Knoblauchcreme ausgesetzt. Sie riechen wie Kotze und sehen auch so aus.

Alle machen sich fein, alle machen sich schick. Nur eine Punkband spielt schlecht und liebevoll und die Sängerin mit entzündeter Stimme zur nicht hörbaren Gitarre, weil sie das Schlagzeug übertönt auf dem Ottensener Weihnachtsmarkt. Und blonde junge Muttis in Fellstiefeln und Russenmützen am Kinderkarussell mit Sportkarre und Jeansarsch. Mächtig geballte Backen, die ganze Kraft und Jugend mit der sie über den Markt hetzen, wie ein Renntier ohne Schuss. Am liebsten würde ich sie am Hosenbund festhalten: „Na na junge Frau, nicht so eilig. Da würde mich doch mal der Supernannytest interessieren!“ Aber das brächte nur wieder eine Belästigungsklage mit sich, wegen der Mitteilung medialen Wirrsinns in der Nähe von Kindern.

Also warte ich bis Neujahr. Bis dahin sollte ich wieder auf ganz natürlichem Wege gesund geworden sein.

23. Dezember 2008

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