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Kloster San Antimo in der Toscana

Kloster San Antimo in der Toscana

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Th. Maess


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Kloster San Antimo in der Toscana

Der Berg Amiata mit seinem weichen geschwungenen Profil bildet den Hintergrund für einen Ort auserlesener frühromanischen Architektur. Das letzte Kleinod der an Bauten so reichen Toscana, die wuchtiger und zugleich verspielter nicht sein können, macht den Abschied von diesem Landstrich noch elegischer, selbst wenn das Latium nicht weniger interessant ist. Florenz liegt hinter mir, San Gimignano oder Volterra lassen ebenso noch grüßen wie der grazile Campanile von Siena und nun der letzte Gruß der Toscana, wie er kaum schöner sein kann. Mir scheint es nicht übertrieben, wenn im deutschsprachigen Prospekt von Sant'Antimo von einem Universum an Kunst, Geschichte, Natur, Harmonie und Spiritualität geredet wird. Ich erreiche Sant'Antimo über die Via Cassia die mich über Weinberge und Olivenhaine nach Montalcino führte, nun aber unterhalb der dortigen Festung im Kreisverkehr den Weg weist in Richtung Castelnuovo dell'Abate zur Abtei Sant'Antimo. Die Straße windet sich hinauf in die Hügelkette des Amiata, beschattet von dichten Buchenwäldern und ab und an weiten Panoramablicken ins Chianti oder in die weite Ebene der Maremma. Mir scheint, italienischer wird es nicht mehr.
Und plötzlich taucht rechterhand diese Perle des Mittelalters auf, ein Bau, ein Endresultat einer Baugeschichte der Benediktiner seit dem 9. Jahrhundert. Ich werde beim Näherkommen von einem optischen Übermut gepackt, dem mein Fotoapparat geradeso noch standhält. Bevor ich die Kirche betrete, laufe ich drumherum und sehe kleine Skulpturen an den uralten Gemäuern, sehe Reste eines grazilen Kreuzgangs, sehe seltsame Fabelwesen an der Fassade und komme schließlich ans Portal, dessen geöffnete Tür den Blick bis ins Presbyterium freigibt. Neben der Eingangstür wartet ein freundlicher junger Mann, der mich begrüßt als Gast in diesem Raum „singender Steine“, wie er sagt. Und da übertreibt er nicht. Denn ich staune über die Kraft, die Harmonie und die Melodie, die von diesem Raum ausgeht, je weiter ich mich dem Chor nähere. Im Chorumgang erstaunt mich die Farbigkeit der Steine, die Reste von Fresken und der Rhythmus der Säulen. Durch die Säulen hindurch bleibt immer das Kruzifix sichtbar, das hell von den Fenstern der Chorgruppe erleuchtet wird. Dieser Chorraum antwortet in absichtlicher Art der stets geöffneten Westpforte der Kirche – ein symbolträchtiger Umstand, der die museale Betrachtung und das kunsthistorische Interesse auflädt mit einem spirituellen Szenario, das durch die Verspieltheit der Kapitelle zuweilen einen heiteren Zug bekommt. Ich gehe mehrmals durch die Säulen hinter dem Chorraum hindurch und bekomme dabei den Eindruck einer ständigen Umarmung, die mir guttut.
Der Raum der „singenden Steine“ wird täglich genutzt für Gesänge ganz besonderer Art. Augustinermönche kultivieren hier die Gregorianischen Gesänge zu den ihnen festgelegten Zeiten. Diese Choräle gibt es bereits seit dem 4. Jahrhundert – und meine Sinne reichen plötzlich rund 1500 Jahre zurück in eine Zeit, da die Geschichte des Christentums begann und seine Unschuld noch nicht verloren hatte. Die Reinheit des Gesangs ist unberührt von der Zwiespältigkeit und Zwielichtigkeit nachfolgender Kirchengeschichte.

Kommentare 3

  • Dieter Maess 9. Januar 2016, 10:32

    Ich neide der Zypresse ihren Ort und ihre Lebenszeit. Bin schon dreimal dorthin gefahren und könnte es sofort wieder tun. Bin übrigens durch eine kurze Beschreibung von Antonio Tabucchi in seinem Briefroman "Es wird immer später" ("Zweifellos ist das die schönste romanische Kirche auf der ganzen Welt...") auf diesen Ort gekommen.
  • Claudy B. 4. Januar 2016, 22:58

    oh, dieses Kloster liebe ich! und die Mönchsgesänge...noch vel mehr...
    lG C.
    und ein gutes neues Jahr, Thomas!
  • Frank G. P. Selbmann 4. Januar 2016, 10:28

    eine klasse aufnahme von diesem architektonischen kleinod in einer herrlichen landschaft. dein feiner reisebericht macht lust auf einen weiteren toscana-besuch.
    gruß franKS

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Exif

Kamera NIKON D700
Objektiv Unknown (-2147483648) 28-300mm
Blende 8
Belichtungszeit 1/640
Brennweite 58.0 mm
ISO 100