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Die Angst war immer dabei

Die Angst war immer dabei

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Thomas-Wendt


kostenloses Benutzerkonto, Appercha

Die Angst war immer dabei

In den Jahren von1987 bis 1988 leistete ich meinen Grundwehrdienst bei den Grenztruppen der DDR in Berlin ab. Die Grundausbildung erfolgte im Grenzausbildungsregiment 39 „Ho Chi Minh“, Berlin-Wilhelmshagen.
“Politisch gefestigt“, konditionell „den Feinden der DDR“ überlegen und an der Schusswaffe gut ausgebildet, ging es am 29.10.1987 in das Grenzregiment 36 „Helmut Poppe“, Berlin-Rummelsburg. Es war für viele von uns wie der Einmarsch in die Hölle. Straffe „EK-Bewegung“, häufig wechselnder Schichtdienst, aber besonders die harte Realität im Grenzstreifen die immer von Angst begleitet war, machte ein jeden von uns zu schaffen.
Während meiner Dienstzeit wäre es mir nie in den Sinn gekommen, auf einen Flüchtenden zu schießen, aber sollte diese Situation eines Fluchtversuches in meinem Abschnitt einmal entstehen, so war mir klar, ich müsste diesen vereiteln um nicht selber unter Strafe gestellt zu werden. Zu diesen Thema wurde viel auf der Kompanie erzählt, ob Wahrheit oder nur vom „Hören-Sagen“ sei dahingestellt. Ich nehme an, man wollte bewusst Angst damit schüren.

Im Sommer 1988, es war Mitte August, stand ich dann plötzlich vor jener Situation, die ein jeder von uns fürchtete. Inzwischen zum Postenführer ernannt, bezog ich in jener Nacht zusammen mit meinem Posten den Wachturm am Grenzpunkt „Axel-Springer-Haus“ in Kreuzberg. Es war einer der heikelsten Postenpunkte in unserem Grenzabschnitt. Grund dafür war die enge und schlecht einzusehende Lage.
Der Tag war drückend heiß gewesen und zur Nacht zogen tiefschwarze Gewitterwolken heran. Grelle Blitze und gewaltige Sturmböen ließen den Grenzabschnitt noch unheimlicher wirken als wie er schon war. Plötzlich peitschte der Regen gegen die Fenster, im gleichen Augenblick löste der Signalzaun Alarm aus. Wir sprangen sofort vom Hocker und starrten in besagte Richtung. An einer schwer einsehbaren Häuserecke gleich unterhalb unseres Turmes kam eine Leiter zum Vorschein. Ich wusste sofort was die Stunde geschlagen hat. Ich gab den Befehl, so schnell wie möglich vom Turm abzusitzen. Wir stürzten im wahrsten Sinne des Wortes die Treppe hinunter, doch als wir endlich im Freien ankamen war alles schon vorbei. Die Leiter stand an der Mauer zur Westseite und vom Flüchtenden war keine Spur mehr zu sehen. Ein jubelnder Aufschrei einer Menschenmenge war vom Sturm verzehrt noch zu hören. Wir gingen sofort in Abriegelung um eventuell weitere Grenzverletzer zu stellen. Bei strömendem Regen standen wir dann etwa drei Stunden in Abriegelung. Es waren wohl die längsten Stunden meines Lebens, tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf, Angst machte sich breit, Angst meine Frau und meine Tochter auf längere Zeit nicht mehr sehen zu können. Abgeholt wurden wir dann von einem mir unbekannten Offizier im Trabant-Kübel. Angekommen im Grenzregiment wurden wir sofort zum Verhör gebracht. Einzeln mussten wir eine stundenlange Tortur über uns ergehen lassen. Völlig durchnässt und übermüdet entließ man uns auf unsere Kompanie. Nachdem ich geduscht hatte und wieder in trockenen Sachen war, schrieb ich in aller Eile einige Zeilen an meine Frau und schilderte ihr das Geschehene. Den Brief gab ich wenig später meinem Zimmerkameraden mit der Bitte – diesen persönlich meiner Frau zu überreichen falls ich urplötzlich von der Kompanie verschwinden sollte.
Doch es kam völlig anders als ich befürchtet hatte. Wir wurden einige Tage vom Grenzdienst freigestellt und es fanden auch keine weiteren Verhöre mehr statt. Allerdings wurde ich für den Rest meiner Dienstzeit „Schwarz“ eingestuft. Diese Einstufungen richteten sich jeweils nach den Einsatzorten und dem jeweiligen Vertrauen gegenüber dem Grenzer (Parteitreue, Ausschluss von Fahnenflucht usw.)
„Hochrot“ eingestuft wurden Postenpunkte wie Grenzübergangsstellen. „Rot“ eingestuft waren stillgelegte U-Bahn und S-Bahn-Stationen und besonders gefährdete Postenpunkte zumeist auf Turmbereichen. Wenn man „Schwarz“ eingestuft worden war, hatte man zumeist Freilandpunkte zu sichern. Das hieß man lief sich im wahrsten Sinne des Wortes die Füße platt und war Wind und Wetter ausgeliefert.
Als meine Grenzdienstzeit am 28. Oktober 1988 endete spürte ich körperlich wie eine riesige psychische Last von mir abfiel.
Ich war nie stolz ein Grenzsoldat an der Berliner Mauer gewesen zu sein, aber ich habe diesen Teil meines Lebens auch nie verschwiegen. Es war ein trauriges, menschenverachtendes Kapitel der DDR-Geschichte was viele unschuldige Opfer kostete.

Kommentare 3

  • Roland Hartig 13. April 2021, 7:29

    Deine Reflexion auf Deinen Dienst an der Grenze, ist bemerkenswert aufrichtig. Auch ich war Grenzer, seeseitig. Hand aufs Herz, wir beide hätten ja woanders "dienen" können. Damals, als junger Mensch, sah man häufig nicht, was da auf einen zukommen wird. Oft war ja das Argument, danach kannst'e ohne Umwege studieren. Alles Gute! Roland
    • Thomas-Wendt 16. April 2021, 17:51

      Danke Roland für Deinen Kommentar, Du hast Recht " wir hätten woanders dienen können". Aber hatten wir nicht auch Träume, ich wollte immer zur See fahren aber gelassen hat man mich nur in Häfen wie Rostock und Mukran. Ich glaube wir beide verstehen was ich damit sagen will. Gruß nach Rostock, ich war erst letztes Jahr dort mein Kumpel besuchen, Thomas
  • Bernd Freimann 30. Juni 2017, 12:32

    Ein bemerkenswertes Bilddokument und ein bewegender Text, der die Vermutungen eines im Westteil Berlins aufgewachsenen bestätigen. Ich ahnte damals schon, dass viele der Grenzsoldaten den Dienst mit einer inneren Zerrisenheit versehen.
    Gut dass es vorbei ist und traurig, dass es immer noch Leute gibt, die das Regime versuchen zu rechtfertigen.
    Gruß aus Berlin
    Bernd Freimann

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