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100 Meisterwerke der Gegenwart- Die Friedhofsgießkanne

100 Meisterwerke der Gegenwart- Die Friedhofsgießkanne

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Prinz von Auerb- und Moosach


Premium (World), aus dem sonnigen WestWing

100 Meisterwerke der Gegenwart- Die Friedhofsgießkanne

Ich möchte Euch heute und hier wieder einmal ein Bild aus meiner Serie
>Die 100 Meisterwerke der Gegenwart und Zukunft<
präsentieren und gleichzeitig dem World Frame Fame Day huldigen.


Die Friedhofsgießkanne
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Da hängt sie, still und stumm, ihrem Schicksal treu ergeben und stets zu Diensten.
Sie kennt nichts anderes.

Tagaus, tagein hängt sie da, baumelt im Wind und harrt der Dinge.
Immer, wenn sich jemand dem Brunnen nähert, schlägt ihr Herz höher.
"Wird sie mich nehmen?", fragt sie sich bang. Denn es sind immer Frauen, die die Gräber gießen. Ganz klar, sind es Frauen, Männer sind in dieser Sparte die absolute Ausnahme, denn auch sie opfern sich immer auf, ihren Frauen treu ergeben bis ans bittre Ende. Ihr Ende, nicht das der Frau, sondern das des Mannes. Sie gehen früher und schaffen Platz.


Doch genau genommen ist es der Gießkanne egal, wer sie nimmt, wer ihr Herz höher schlagen läßt, ob eine faltige Frauenhand oder die zitterende eines alten Mannes. Hauptsache dienen, dem Zweck und der Menschheit.
Ja, ganz durchdrungen ist sie von den Freuden der Pflicht. Das hat sie mal gelesen beziehungsweise lesen lassen. Da kam eine Frau, klar, denn die Männer gehen ja früher, also, da kam eine Frau und setzte sich neben den Brunnen und las ihr vor. Das Wort mußte an sie gerichtet gewesen sein. An wen denn sonst? An einen Mann bestimmt nicht, denn die Männer gehen ja früher.



Also den Lenz findet sie jetzt so richtig pfundig, den Siggi. Der hat ihrem Leben einen Sinn gegeben. Vorher hing sie nicht so freudig am Ständer herum. Eher wie ein Schluck Wasser in der Kurve, also rein gefühlsmäßg gesehen oder gehangen. Denn neben ihr hingen noch andere Kannen. Zinkgießkannen. Und die haben einen gaaaanz anderen Status. Die machen was her. Die halten lange und haben was zu erzählen. Die hängen schon seit Generationen hier in Untermenzing herum. Die haben vielleicht schon Sachen erlebt. Mann, ich kann Euch sagen. Die hätten beinahe mal den Papst erlebt, sozusagen um ein Haar. Also nicht zu seiner Zeit als Papst, aber vorher. Am Anfang seiner klerikalen Karriere. Aber ganz knapp haben sie ihn damals verfehlt, weil er war ja nicht in Unter- oder Obemenzing, sondern Pfarrer in Moosach. Leute, sagt Euch das was? Moosach. Klingt Euch da nix in den Ohren??? Da wohnt doch jetzt so ein ganz berühmter Kerl, also ich kann Euch nur sagen ...



Aber wir wollen ja von der Gießkanne reden. Von der plastikenen.
Nun, anfangs war sie arg neidisch auf die zinkenen, denn die hatten schon mächtig was erlebt und hatten auch einen ganz anderen Klang. Nur wenn man sie fallen ließt, schepperen sie blechern, und man kann sie lässig bis zur Inselmühle und zum Pflanzenkölle scheppern hören. Bei guter Wetterlage sogar bis zum Aldi.

Aber wenn man auf die plastikene Gießkanne haut, dröhnt das nur kurz und dumpf. Das macht nicht so viel her. Darunter leidet sie schon ein wenig.
Dafür ist sie aber bunt, mächtig bunt, so richtig bunt wie eine Quietscheente. Und darauf ist sie wiederum stolz und könnte sich sogar vorstellen, bei Cody in der Sammlung zu sein. Aber dann hätte sie nichts zu tun. Wohingegen hier, hier wird sie gebraucht. Täglich. Und an Allerheiligen und vor allem in den Tagen davor leistet sie sogar Schwerstarbeit. Auch darauf ist sie stolz, vor allem, nachdem sie die Sache von dem Lenz Siggi gehört hat, also das mit den Freuden der Pflicht.




Einnal kamen sogar Kinder mit ihrer Oma auf den Friedhof und halfen der Oma beim Gräbergießen. Ja meinste, die Kinder hätten die Blechgießkannen genommen? Also genommen haben sie sie schon, aber nur zum Draufherumtrommeln so mit einem Stock. Das ging so lange gut, bis sie ausgeschimpft wurden von wegen der Totenruhe und dem allgemeinen Betragen auf dem Friedhof und der Friedhofsordnung.

Dann aber nahmen die Kinder die bunte Plasktigießkanne zum Gießen, denn sie sah lustiger aus als die blöden grauen, so zumindest hatte der kleine Junge es gesagt. Mensch, was war die Kanne da stolz. Stolz wie Oskar, den kannte sie zwar nicht, aber von dem hatte sie mal gehört.






Aber dann kam ihr großer Tag. Eigentlich hatte sie an diesem Tag nichts Besonderes erwartet. Es war einer dieser wunderbarer Herbsttage, warm, sonnig und windstill. Die Gießkanne war an diesem Tag schon mehrmals benutzt worden, denn die Gräber wurden für Allerheiligen hergerichtet. Gerade hing sie leicht und locker wieder am Ständer und baumelte noch ein wenig. Das macht ihr immer Spaß. Plötzlich kam ein Paar vorbei, das merkwürdige Kästchen in den Händen hielt. "Schau her, Klacky," sagte die Frau zu dem Mann, der lebte noch, "schau doch mal, was für ein schönes Brunnendetail."
Er muffelte etwas in sich hinein und wedelte mit dem Kästchen vor den Augen auf und ab. "Wuschbilder," sagte er, "wir brauchen Wuschbilder." Und weiter zappelte er über den Friedhof, bis die Kanne ihn aus den Augen verlor.
Es war ein schöner Tag, und die Kanne wartete auf den nächsten Einsatz, dem sie schon entgegenfieberte. Ja, die Freuden der Pflicht hatten sie ganz erfüllt, selig war sie.

Doch dann kam der Mann zum Brunnen zurück, strich drumherum, bückte sich, schaute aus anderer Richtung und richtete das Kästchen doch direkt auf die Kanne. "Was soll das?" fragte sich die Kanne, aber so leise, daß der Mann es nicht hören konnte. "Das gibt ein geiles Bild mit dieser Kanne." Die Kanne erschrak gar fürchterlich. Hatte der Mann sie gehört? Konnte er Gedanken lesen? ”Schau mal, Mira, diese Kanne hier, sieht die nicht malerisch aus? Die knipse ich, peppe sie noch ein wenig mit PS auf, ziehe einen Rahmen drumrum und stelle sie in der FC zum World Frame Fame Day ein."
Da juchzte die Kanne vor Freude und hätte beinahe noch in die Hände geklatscht, wenn ihr nicht im letzten Augenblick noch eingefallen wäre, daß sie gar keine Hände hat. Sie strahlte (das seht Ihr hier oben.). "In die FC komme ich," jubelte sie, "und das am World Frame Fame Day!" Sie konnte ihr Glück nicht fassen. Sie war so stolz wie Graf Rotz, den sie auch nicht kannte, und nannte sich hinfort
Kanne v. Menzing

Und wenn sie vor Stolz nicht geplatzt ist, so lebt sie noch heute ...

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