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... Grabmal der Mariana Alcoforado ...

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Rainer Otter


kostenloses Benutzerkonto, Sankt Augustin

... Grabmal der Mariana Alcoforado ...

Grabmal der Nonne Mariana Alcoforada.

Sie schrieb um das Jahr 1664 die schönsten Liebesbriefe aller Zeiten an ihren Verehrer und Liebhaber als Nonne im Kloster in Beja.
Leider starb sie 83-jährig in dem Kloster, in dem sie sich in den jungen französischen Edelmann und Offizier verliebte.
Sie erschienen erstmals 1669 als Lettres portugaises.

Ihr erster Brief:
Wie unverständig wenig hellsehend du gewesen bist, bedenke es doch recht, meine Liebe!
Du Ärmster! Du bist von gaukelnder Hoffnung betrogen, und du hast mich wieder getäuscht! Die Leidenschaft, auf die du so viele herrliche Pläne aufbautest, verursacht dir jetzt nur eine tötliche Verzweiflung, die sich nur vergleichen lässt mit dem Grausamen in dieser Trennung, die ihre Ursache ist. Soll denn diese Landflüchtigkeit, die mein Schmerz in all seiner Erfindsamkeit nicht hinreichend traurig zu bezeichnen vermag, mich wirklich auf ewig verhindern, diese Augen zu betrachten, in denen ich so viel Liebe gesehen habe, und die mich Gefühle kennen lehrten, die mir zu unendlicher Freude wurden, ah Stelle alles andern traten, ja, mich ganz erfüllten. Meine armen Augen haben in den deinen das einzige Licht verloren, das ihnen Leben verlieh; es sind ihnen nur Tränen geblieben, und ich habe denn auch zu
nichts anderem Gebrauch von ihnen gemacht, als unaufhörlich zu weinen, seit ich erfuhr, dass du zu einer Trennung entschlossen warst, die mir so unerträglich ist, dass sie bald meinen Tod verursachen wird.
Und dann ist es mir doch, als würde ich zu den Schmerzen hingezogen, an denen du allein schuld bist. Ich habe dir mein Leben geweiht, von dem ersten Augenblick an, als meine Augen auf dir ruhten, und ich empfinde eine geheime Freude, es dir zu opfern.
Meine Seufzer suchen dich tausendmal des Tages und bringen mir keine andere Linderung, die ärmsten, als die grausame Vergewisserung meines Unglücks, das mir keine Hoffnung lässt und mir beständig wiederholt: Lass nach, arme Marianna, lass nach, dich vergeblich hinzuzehren! höre auf, dem Geliebten nachzuseufzen, den du nie wieder sehen wirst, der über das Meer zog, um dir zu entfliehen, der jetzt in Frankreich weilt, inmitten von Vergnügungen und Freuden, der keinen Augenblick daran denkt, dass du leidest, und der dich von allen diesen Gefühlen entbindet, für die er dir keinen Dank weiss!
Aber nein! Ich kann mich nicht entschliessen, so schlecht von dir zu denken. Es ist mir zuviel daran gelegen, dich zu rechtfertigen. Ich will mir nicht vorstellen, dass du mich vergessen haben kannst.
Bin ich etwa nicht schon unglücklich genug, ohne mich mit falschem Misstrauen zu plagen? Warum sollte ich mich anstrengen, um aus meiner Erinnerung all das auszulöschen, was du getan hast, um mir deine Liebe zu beweisen? Ich habe mich doch dermassen über das alles gefreut, dass ich ein sehr undankbares Geschöpf sein müsste, wenn ich nicht ebenso entzückt sein würde, dich jetzt zu lieben, wie damals, als ich die Beweise deiner Liebe genoss.
Wie ist es doch möglich, dass die Erinnerungen an so süsse Augenblicke so bitter geworden sein können? Und sollen sie gegen jede Naturordnung jetzt allein dazu dienen, mein Herz zu zerreissen?
Das arme Herz! Dein letzter Brief brachte es in eine sonderbare Verfassung: so heftige Stösse gab es mir in meiner Brust, dass es schien, als wolle es sich von mir losreissen und dir entgegenfliegen.
Ich war so überwältigt von allen diesen heftigen Gemütsbewegungen, dass ich mehr als drei Stunden ganz von meinen Sinnen verlassen war. Es war, als weigere ich mich, zum Leben zurückzukehren, zu dem Leben, das ich für dich verlieren muss, da ich es nicht für dich erhalten kann. Gegen meinen Willen kam ich wieder zu mir. Es freute mich, zu fühlen, dass ich nahe daran war, vor Liebe zu sterben, und ich war froh, dass ich endlich sehen sollte, wie der Kummer darüber, dass du fort bist, aufhörte, meine Seele zu geisseln.
Nach allen diesen heftigen Gemütsbewegungen habe ich an viel Schwächlichkeit gelitten; aber wie sollte ich ohne Schmerzen leben können, so lange ich dich nicht zu sehen bekomme? Ich trage sie, ohne zu murren, weil du es bist, der sie verursacht.
Ich armer Mensch! Ist das die Belohnung, die du mir spendest, weil ich dich so heiss geliebt habe?
Aber es ist mir einerlei. Ich bin entschlossen, dich mein ganzes Leben anzubeten, und nie mehr einen andern lieb zu haben. Und ich sage dir, dass auch du gut tun wirst, keine andere zu lieben.
Würdest du vielleicht mit einer Liebe fürlieb nehmen können, die weniger glühend wäre als die meine? Du könntest möglicherweise eine Frau treffen, die schöner wäre als ich – obwohl du doch seinerzeit gesagt hast, dass ich recht schön sei – aber du triffst nie eine, die dich so heiss liebt wie ich, und all das übrige hat nichts zu bedeuten.
Lass nach, deine Briefe mit Dingen anzufüllen, die keinen Zweck haben und halte auf zu schreiben, dass ich an dich denken soll. Ich kann dich nicht vergessen, und ich vergesse auch nicht, dass du mir Hoffnung gemacht hast, dass du wiederkommen und eine kleine Weile bei mir sein wolltest. Warum willst du doch nicht dein ganzes Leben bei mir sein?
Wenn ich aus diesem verzweifelten Kloster entfliehen könnte, so würde ich sicher nicht hier in Portugal darauf warten, ob deine Versprechungen in Erfüllung gehen würden. Nein, ohne Bedenken würde ich hingehen und dich suchen und dir folgen und dich lieben über die ganze Welt.
Ich wage nicht einmal zu denken, dass das möglich sein könnte. Ich will nicht eine Hoffnung nähren, die mir einige Linderung gewähren könnte, und ich will mich nur meinem Unglück und meiner Qual hingeben. Das muss ich freilich gestehen, dass die Gelegenheit, die mein Bruder mir verschaffte, dir zu schreiben, mich froh bewegt machte, und für einen Augenblick die Verzweiflung zerstreute, in der ich lebe.
Das sollst und musst du mir sagen, warum du dich angestrengt hast, mich zu betören, wenn du doch sehr wohl wusstest, dass du mich eines schönen Tages verlassen musstest. Warum bist du doch nur so begehrlich gewesen, mich ins Unglück zu stürzen? Warum liessest du mich nicht in Ruhe und Frieden in meinem Kloster? Hatte ich dir vielleicht etwas Böses zugefügt?
Aber ich bitte dich um Verzeihung, mein Geliebter! Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich bin nicht imstande, Rache auf dich herabzuwünschen, und ich klage nur mein hartes Los an. Indem es uns trennte, scheint es mir, uns all das Unglück gebracht zu haben, das wir von ihm fürchten konnten. Es wird ihm nicht gelingen, unsere Herzen zu trennen; die Liebe, die mächtiger ist als das Schicksal, hat sie für das ganze Leben vereint.
Wenn du dir ein wenig aus mir machst, so schreibe oft an mich! Das verdiene ich doch wohl von dir, dass du dich befleissigest, mich von deinen Gefühlen und den Schickungen deines Lebens zu unterrichten.
Und vor allem: komme, mich zusehen! Leb' wohl! Ich kann mich nicht entschliessen, dies Papier von mir zu lassen, weil es von deinen Händen umfasst werden wird. Wäre ich es, die dies Glück gemessen sollte!
Aber ich schwatze wie eine Törin! Ich weiss wohl, dass es nicht möglich ist! Leb' wohl! Ich kann nicht mehr.
Leb' wohl!
Höre niemals auf, mich zu lieben! Und lass mich noch grössere Leiden erdulden!
Dein Leutnant hat mir eben erzählt, dass du durch Unwetter gezwungen bist, in Algarve einzulaufen.
Ich fürchte, du hast viel auf dem Meere ausgestanden, und diese Furcht hat mich in dem Masse erfüllt, dass ich nicht an alle meine eigene Qual gedacht habe. Meinst du übrigens, dass dein Leutnant mehr teilnimmt an dem, was dir zustösst, als ich? Warum ist er denn besser unterrichtet, und warum hast du überhaupt nicht an mich geschrieben? Ich würde höchst unglücklich sein, wenn du keine Gelegenheit dazu gehabt hättest, nachdem du gereist bist, und ich würde es noch mehr sein, wenn du Gelegenheit gehabt, aber nicht geschrieben hättest.
Du bist grenzenlos ungerecht und undankbar; aber ich würde doch noch mehr trauern, wenn es ein Unglück über dein Haupt brächte. Ich sehe es lieber, dass dies ungestraft bleibt, als dass ich gerächt werde.
Ich wehre mich gegen alle die Zeichen, die mich überzeugen müssten, dass du mich nicht mehr liebst, und ich würde mich weit lieber meiner Leidenschaft blind hingeben, als auf die Stimme der Vernunft zu hören, die mich mahnt, mich über deine Kälte zu beklagen.
Wie viele Qualen hättest du mir nicht ersparen können, wenn dein Benehmen gleich in den ersten Tagen, als ich dich sah, so träge gewesen wäre, wie es mir in der letzten Zeit vorgekommen ist. Aber wer würde es nicht für echt gehalten haben? Was kostet es uns nicht, und wie lange zaudern wir nicht, der Redlichkeit derer zu misstrauen, die wir lieben?
Ich sehe wohl, dass nur die kleinste Entschuldigung dir genügt, und, ohne dass du dich auch nur je bemühest, eine solche zu finden, dient meine Liebe dir so treu, dass ich mich nicht darin finden kann, dich als schuldig zu richten, ausser um hinterher das unsägliche Glück zu geniessen, dich selbst zu rechtfertigen.
Du liessest mir weder Ruh' noch Rast mit deinem beharrlichen Werben; deine Leidenschaft erregte mich; du betörtest mich mit Schmeicheleien; deine heiligen Versprechungen machten mich sicher; meine grenzenlose Verliebtheit führte mich irre, und die Fortsetzung von alledem, was so leicht und glücklich begonnen hatte, ist nichts weiter als Träume, Seufzer und ein trübseliger Tod, ohne dass ich irgendwelche Hilfe erblicke.
Freilich genoss ich ganz ungeahnte Freuden, als ich dich liebte, aber die kosten mir jetzt zu übertriebene Schmerzen. Sie schiessen immer übers Ziel hinaus, die Gemütsbewegungen, die du mir bereitest.
Wenn ich deiner Liebe hartnäckig standgehalten hätte, und wenn ich dir Grund zu Gram und Eifersucht gegeben hätte, um dich besser in Flammen zu versetzen und dich in meine Macht zu bekommen; wenn du von meiner Seite ein Auftreten bemerkt hättest, hinter dem Ränke lagen, kurz, wenn ich meine Vernunft über die natürliche Neigung gestellt hätte, die mich zu dir hinzog, und die du mich gleich empfinden lehrtest, ja, da hättest du mich strenge züchtigen und deine Macht über mich mit einem Schein von Gerechtigkeit missbrauchen können, wenn auch all mein Fleiss sicher vergeblich gewesen wäre.
Aber du schienst mir meiner Liebe wert, noch ehe du mir gesagt hattest, dass du mich liebtest; du offenbartest mir eine starke Leidenschaft; ich fühlte mich geblendet, und ich gab mich der Liebe zu dir ohne Sinn und Verstand hin. Du warst nicht blind wie ich; weshalb hast du mich da in den elenden Zustand gebracht, in dem ich mich jetzt befinde? Was wolltest du eigentlich mit all' meiner Liebe, die dir doch nur zur Last sein konnte, übertrieben wie sie war!
Du wusstest sehr gut, dass du nicht für immer in Portugal bleiben konntest. Warum hast du gerade mich wählen wollen, um mich so unglücklich zu machen? Du hättest ohne Zweifel hier im Lande eine Frau treffen können, die schöner war als ich, und die dir zu gleicher Freude gereicht haben würde, da du ja nur solche niederer Art suchest; eine Frau, die dich treu geliebt haben würde, so lange du bei ihr warst, die die Zeit über deine Abreise hätte trösten können, und die du hättest verlassen können, ohne treulos und grausam zu sein.
Du bist vielmehr wie ein Tyrann aufgetreten, der es darauf angelegt hatte, mich zu plagen, als wie ein Liebender, der nur daran denken sollte, die Geliebte zu entzücken. Weshalb willst du doch nur so hart gegen ein Herz sein, das dir gehört? Ich sehe sehr wohl, dass es dir ebenso leicht wird, dich gegen mich beeinflussen zu lassen, wie es mir geworden ist, mich zu deinen Gunsten überzeugen zu lassen. Ohne all meine Liebe nötig zu haben, ja ohne zu wissen, dass ich etwas für mich Ausserordentliches getan hätte, würde ich gar leicht besseren Gründen widerstanden haben, als es diejenigen sein können, die dich bewogen haben, mich zu verlassen. Sie würden mir sehr schwach erschienen sein, und es würde in der ganzen Welt keine solchen gegeben haben, die mich von deiner Seite hätten entfernen können.
Aber du hast dich der ersten besten Vorwände bedienen wollen, um nach Frankreich zurückzukehren.
Es ging ein Schiff.
Warum konntest du es nicht gehen lassen?
Deine Familie hatte dir geschrieben.
Weisst du denn nicht alles das, was ich von der meinen zu erdulden gehabt habe?
Deine Ehre verpflichtete dich, mich zu verlassen.
Habe ich vielleicht an meine Ehre gedacht?
Du musstest nach Hause, um deinem König zu dienen.
Wenn alles das, was sie von ihm erzählen, wahr ist, so bedurfte er deiner Hilfe nicht und hätte dich davon entbinden können.
Ach, wie würde ich glücklich gewesen sein, wenn wir das Leben hätten zusammen verbringen können! Aber wenn es nun der Wille des Schicksals war, dass uns eine grausame Trennung voneinander entfernen sollte, so finde ich doch, dass ich froh darüber sein muss, dass ich nicht treulos gehandelt habe, und ich hätte um nichts in der Welt etwas so Niedriges verüben können.
Ist es wirklich möglich? Du hast alle meine tiefe und zärtliche Liebe gekannt, und du hast dich entschliessen können, mich für immer zu verlassen und mich dem grauenhaften Gedanken auszusetzen, dass du aufhören könntest, meiner zu gedenken, ausgenommen indem du mich einer neuen Leidenschaft opfertest.
Ich weiss sehr wohl, dass ich dich ganz wahnsinnig liebe. Aber ich beklage mich trotzdem nicht über die sinnlose Macht all meiner Liebe. Ich habe mich an alle ihre Qualen gewöhnt,
und ich würde nicht ohne das Glück leben können, das ich empfinde, indem ich dich unter tausend Martern liebe.
Aber unaufhörlich werde ich von Langerweile und Überdruss an allem andern gequält. Meine Familie, meine Freunde, das Kloster hier, alles ist mir unerträglich geworden. Ich hasse alles, was ich zu sehen gezwungen bin, alles, was ich zu tun gezwungen bin. So eifersüchtig fühle ich mich in bezug auf meine Liebe, dass es mir scheint, als hätten alle meine Handlungen, alle meine Pflichten dich zum Gegenstand. Ja, ich fühle Gewissensbisse, dass ich nicht jeden Augenblick meines Lebens für dich verwende.
Was sollte ich Ärmste wohl machen, ohne all den Hass und alle die Liebe, die mein Herz erfüllt! Würde ich vielleicht das überleben können, was mich unaufhörlich in Anspruch nimmt, und im stände sein, ein ruhiges und gleichgültiges Leben zu führen! Nein, ich würde mich nie an ein so leeres und inhaltloses Dasein gewöhnen können.
Alle Menschen haben die völlige Veränderung in meinem Wesen, meinem Auftreten und meiner Person bemerkt. Die Äbtissin hat mit mir darüber gesprochen, anfangs hart, dann mit einiger Zärtlichkeit. Was ich ihr antwortete, weiss ich nicht. Ich glaube, dass ich ihr alles gestand. Selbst die strengsten von den Nonnen haben Mitleid mit meinem Zustand; er veranlasst sie, mir ein gewisses Wohlwollen und Barmherzigkeit zu erweisen. Alle Leute sind gerührt über meine Liebe, nur du allein fährst fort, ganz gleichgültig zu sein und schreibst mir nichts als kalte Briefe voller Wiederholungen, und lassest die Hälfte des Papieres frei, so dass du so recht plump zeigst, wie du dich gesehnt hast, fertig zu werden.
Dona Brites quälte mich neulich so sehr, um mich ein wenig aus meinem Zimmer herauszubekommen, und da sie meinte, dass es mich zerstreuen könne, ging sie mit mir auf der Veranda spazieren, von wo man die Mertola-Tore sehen kann. Sobald ich da hinauskam, wurde ich von der unbarmherzigsten Erinnerung überfallen, die mich den ganzen übrigen Teil des Tages weinen machte.
Sie führte mich wieder in mein Zimmer zurück, wo ich mich auf das Bett warf und darüber nachdachte, wie schwach die Aussicht ist, die sich mir eröffnet, einmal wieder gesund zu werden. Das, was man tut, um mich zu trösten, stachelt meinen Kummer auf, und selbst die Heilmittel sind mir nur ein weiterer Anlass zur Qual.
Dort habe ich dich gar viele Male vorübergehen sehen mit einer Miene und Haltung, die mich bezauberten, und ich stand an jenem Fenster an dem verhängnisvollen Tage, als ich anfing, die ersten Wirkungen meiner unglücklichen Liebe zu spüren.
Es war mir, als wolltest du mir gefallen, obwohl du mich noch nicht kanntest. Ich glaubte, du hättest mich bemerkt, mitten unter allen denen, mit denen ich zusammen war, und als du anhieltest, bildete ich mir ein, dass du gern wolltest, ich solle dich richtig sehen und deine Gewandtheit und deinen Anstand bewundern, indem du dein Pferd wieder ansporntest. Ich war ganz erschrocken, als du es über eine schwierige Stelle zwangest. Kurz, ich fühlte mich lebhaft in Anspruch genommen von allen deinen Handlungen, ich fühlte bereits, dass du mir nicht gleichgültig warst, und ich bezog alles das, was du unternahmst, auf mich.
Du kennst leider nur zu gut die Fortsetzung von dem, was hier begann, und obwohl ich dich nicht zu schonen brauche, sollte ich dich doch nicht daran erinnern, aus Furcht, deine Schuld noch grösser zu machen, als sie bereits ist – falls das überhaupt möglich ist – und dann, um
mir nicht selbst vorwerfen zu müssen, dass ich mir soviel unnütze Mühe gemacht habe, um dich zu zwingen, mir treu zu sein.
Du willst es nicht sein, nein! Wie könnte ich auch von meinen Briefen und Anklagen das erwarten, was meine Liebe und meine Hingebung deiner Undankbarkeit gegenüber nicht hat ausrichten können!
Ich bin meines Unglücks nur allzu sicher. Deine ungerechte Handlungsweise lässt mir nicht den geringsten Grund zum Zweifel; nachdem du mich verlassen hast, ist da nichts, was ich nicht fürchten müsste.
Bin ich es vielleicht nur allein, die dich bezaubernd findet, und könnten nicht auch andere Augen von dir betört werden? Ich glaube, es würde mich nicht betrüben, wenn die Gefühle Anderer gewissermassen meine eigenen rechtfertigten, und ich wollte wünschen, dass alle Frauen in Frankreich dich bezaubernd fänden, dass keine dich liebte und dass du dir aus keiner etwas machtest. Das ist ein lächerlicher, ein unmöglicher Gedanke, ich weiss es. Aber ich habe zum Überdruss erfahren, dass du nicht imstande bist, eine grosse Standhaftigkeit zu empfinden, und dass du mich sehr wohl ohne fremde Hilfe vergessen könntest, und ohne dass eine neue Verliebtheit dich dazu zwänge. Vielleicht möchte ich aber doch wünschen, dass du einen vernünftigen Vorwand hättest; freilich würde ich dann unglücklicher sein, du aber würdest weniger schuldig sein.
Es ist mir klar, dass du deine Zeit in Frankreich ohne grösseres Vergnügen, aber ganz frei und frank verleben wirst. Du bleibst da, weil du dich von einer langen Reise ermüdet fühlst, du hast es ganz bequem und fürchtest, meine glühende Liebe nicht beantworten zu können.
Ach, du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten! Ich will zufrieden sein, wenn ich dich nur von Zeit zu Zeit sehe und nur weiss, dass wir in demselben Lande sind.
Aber vielleicht irre ich völlig, und eine andere Frau wird dich durch Härte und Geringschätzung mehr fesseln, als ich durch alles das, was ich dir zugestanden habe.
Sollte es möglich sein, dass schlechte Behandlung dich besser entflammen könnte?
Aber ehe du dich in eine wirklich grosse Leidenschaft hineinwagst, so denke an die grenzenlosen Qualen, die ich ertrage: an meine unsichern Pläne, meine wechselnden Stimmungen, an all das Übertriebene in meinen Briefen, an meine Vertrauensseligkeit und Verzweiflung, meine Sehnsucht und Eifersucht. Wie unglücklich wirst du dich selbst machen! Ich bitte dich und flehe dich an, von dem Beispiel, das ich dir gebe, zu lernen, so dass es dir auf alle Fälle zu etwas Nutzen sein kann, alles das, was ich für dich erleide.
Vor fünf oder sechs Monaten machtest du mir ein verdriessliches Geständnis; du erzähltest sehr aufrichtig, dass du eine Dame in deinem Vaterlande geliebt hättest. Wenn sie es ist, die dich daran hindert, zu mir zurückzukehren, so sage es mir nur ohne Schonung, damit meine verzehrende Pein ein Ende haben kann. Eine schwache Hoffnung hält mich noch aufrecht, und wenn mich die nur täuschen soll, will ich vorziehen, sie lieber ganz zu verlieren und mich selbst mit ihr.
Schicke mir ihr Bild und einen ihrer Briefe! Erzähle mir alles, was sie dir gesagt hat! Vielleicht finde ich darin Trost oder auch Grund zu noch mehr Leiden. Ich kann nicht
fortfahren, auf diese Weise weiter zu leben, und es gibt keine Veränderung, die mir nicht willkommen sein wird.
Ich möchte auch gern ein Bild von deinem Bruder und deiner Schwägerin besitzen. Alles das, was für dich etwas bedeutet, liebe ich. Ich fühle mich ganz aufgegangen in dem, was dich betrifft; mir ist keine Verfügung über mich selbst geblieben.
Es gibt Augenblicke, wo es mir scheint, ich könnte bis zu dem Masse entsagen, dass ich in Untertänigkeit derjenigen diente, die du liebtest. Ich fühle mich so zermalmt unter deiner Misshandlung und Geringschätzung, dass ich zu Zeiten nicht einmal wage zu denken, dass ich doch das Recht haben müsste, eifersüchtig zu sein, ohne dir zu missfallen. Und ich habe gemeint, es sei, das grösseste Unrecht von der Welt, dass ich mir erlaubte, dir Vorwürfe zu machen. Gar oft überzeuge ich mich selbst davon, dass ich nicht im Zorn, sowie ich es tue, mit dir von Gefühlen reden darf, die du abweist.
Da ist ein Offizier, der lange auf diesen Brief gewartet hat. Ich hatte mir fest vorgenommen, so zu schreiben, dass du es lesen könntest, ohne dich davon abgestossen zu fühlen, aber es ist zu töricht geworden; es ist am besten, dass ich ende.
Ach, ich fühle mich nicht stark genug, mich dazu zu entschliessen. Es ist mir, als spräche ich mit dir, wenn ich dir schreibe, und dass du auf eine Weise bei mir bist.
Wenn ich dir das nächste Mal schreibe, soll es weder so lang noch so unangenehm werden. Du kannst den Brief ruhig öffnen und ihn lesen im Vertrauen auf das, was ich hier sage. Es ist ganz richtig, dass ich nicht mit dir von einer Liebe reden sollte, der du überdrüssig bist, und ich will es auch nicht weiter tun.
Jetzt in wenigen Tagen wird es ein Jahr, dass ich mich dir ganz und gar hingab, ohne die geringste Rücksicht. Deine Gefühle erschienen mir sehr glühend und ganz zuverlässig, und ich hätte mir nicht denken können, dass meine Liebe dir so viel Überdruss bereiten würde, dass du gezwungen wärest, fünfhundert Meilen zu reisen und dich den Gefahren des Meeres auszusetzen, um von mir fortzukommen. Es gibt keinen Menschen, von dem ich eine solche Behandlung verdient hätte. Du kannst dich doch noch entsinnen, wie züchtig ich war, wie verwirrt und schamhaft; aber du willst dich alles dessen nicht erinnern, was dich verpflichten könnte, mich wider deinen Willen zu lieben.
Der Offizier, der dir diesen Brief überbringen soll, lässt mir zum letzten Male sagen, dass er jetzt fort muss.
Welche Eile er hat! Sicher verlässt auch er ein unglückliches Mädchen hier im Lande.
Lebe wohl! Es kostet mich mehr, diesen Brief zu schliessen, als es dich gekostet hat, mich zu verlassen, vielleicht für immer. Lebe wohl!
Ich erkühne mich nicht, dich bei den tausend zärtlichen Namen zu nennen, oder mich rücksichtslos allen meinen Gefühlen hinzugeben. Ich liebe dich tausendmal mehr als mein Leben und tausendmal mehr, als ich es mir selbst vorstellen kann. Wie lieb du mir bist, und welche Qual du mir bereitest!
Du schreibst mir nicht – ich konnte mich nicht enthalten, es dir noch einmal zu sagen. Jetzt bin ich wieder dabei, von vorne anzufangen, und der Offizier geht seiner Wege! Aber was
macht das? Lass ihn nur gehen … ich schreibe mehr für mich, als an dich. Ich suche nur, meinem Gemüt Linderung zu verschaffen. Dieser lange Brief wird dich ja auch ganz bange machen. Du liesest ihn nicht einmal. Was habe ich doch getan, dass ich so unglücklich werden sollte? Und weshalb hast du mein Leben so vergiftet? Ach, weshalb bin ich nicht in einem andern Lande geboren?
Lebe wohl! Und verzeihe mir! Ich wage nicht mehr, dich zu bitten, mich zu lieben. So tief hat mein trauriges Schicksal mich erniedrigt!
Lebe wohl!

Kommentare 3

  • João Carlos Espinho 7. Mai 2015, 10:33

    sehr gut.
  • Vitória Castelo Santos 6. Mai 2015, 22:58

    Wonderful and a big information!!
  • FlugWerk 6. Mai 2015, 7:38

    Liebesbriefe schreiben verschwindet im Zeitalter der Elektronik von sms, mms, whats app..etc fast völlig. Es entgeht der Genuß ein edles Papier mit schöner Haptik zu genießen, einen zart ausströmenden Duft aufzunehmen, den die Liebste aufs Papier gebracht hat. Sinnesgenuß pur. Sich von bezaubernden Worten forttragen zu lassen...was tun sich die Menschen nur an, sich solch einfacher aber wirkunsvoller Dinge zu trennen. Du hast dieses mit deiner Arbeit aufleben lassen. Sehr schön.

    LG Tina

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