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Zu tief in den Becher geschaut?

Zu tief in den Becher geschaut?

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Ulrich Kirschbaum


kostenloses Benutzerkonto, Mittelhessen

Zu tief in den Becher geschaut?

Nachdem Maria solch wunderbare Exemplare von rotfrüchtigen Cladonien - und das auch noch in ausgezeichneter Qualität - zeigt, getraue ich mich kaum, unsere in der Rhön gefundenen Mickerexemplare von Cladonia coccifera zu präsentieren. Daher habe ich zu einem Notbehelf gegriffen und zeige die Flechte aus anderer Perspektive.

Allen, die sich damit abmühen, Flechten zu identifizieren, füge ich eine kleine Anleitung bei, wie man dabei vorgehen sollte:

EIN STRATEGISCHER ANSATZ ZUR FLECHTENIDENTIFIKATION

Die MLA (Mittelhessische lichenologische Arbeitsgemeinschaft) in Gießen enthält einen Schatz an Sachkenntnis, der sich zwischen Amateuren und professionellen Lichenologen, Anfängern und Experten aufteilt. Dieser Artikel feiert diese Hauptstadt des Wissens jedoch nicht, sondern erkundet stattdessen die Findigkeit und Genialität, die wir an den Tag legen, wenn wir Herausforderungen gegenübergestellt werden. Wir haben auf die Erfahrungen von MLA-Mitgliedern zurückgegriffen, um diesen strategischen Ansatz zur Flechtenidentifikation zu entwickeln.

Strategie 1: Ablehnung
• Ich sehe keine Flechten.
• Entscheiden Sie, dass Sie sich heute einfach nur an ihrer Schönheit
erfreuen wollen.

Strategie 2: Kreativität
• Verbinden Sie optimistisch das Flechtensammeln mit Segeln, Heißluft-
Ballonfahren, Höhlentauchen oder Häkeln.

Strategie 3: Unfähigkeit
• Vergessen Sie Ihre Sammeltüten. Es kann sinnvoll sein, dass Sie Ihre
Proben in der Hosentasche verstauen; sie werden den Gang durch die
Waschmaschine sicher nicht überleben.
• Sammeln Sie nur winzige, unidentifizierbare Fetzen.
• Verlieren Sie Ihre Probe. Wenn sich das nicht vor Ort durch
ungeschicktes Verhalten realisieren lässt, kann dies noch erreicht
werden, indem man sehr kleine Probestücke in einer Tüte mixt und zu
größeren Proben vereint.
• Versäumen Sie, den Flechtenfundort aufzuzeichnen, weil es dann nur
noch wenig Sinn macht, die Probe zu identifizieren.
• Vergessen Sie, die Probe einzufrieren, so dass Sie Monate später nur
noch tote Milben und ihre Exkremente in der Tüte vorfinden.
• Öffnen Sie die Schachtel unachtsam, so dass die Stücke durch das
Zimmer geschleudert werden und letztlich in der Deponie enden.
• Gehen Sie kräftig zu Werke, wenn Sie versuchen, das letzte
Apothecium zu schneiden. Vielleicht verschwindet es im Nirwana.

Strategie 4: Zurück zu den Grundlagen
• Die Bilder im „Wirth“ sind immer ein Durchblättern wert ...

Strategie 5: Verschlagenheit
• Geben Sie Ihre Probe unbemerkt jemand anderem.
• Sammeln Sie nur schon von einer anderen Person identifizierte
Flechten.

Strategie 6: Alkohol
• Nehmen Sie noch ein Bier und sehen Sie, ob Dinge klarer werden, (falls
notwendig, wiederholen).
• Sollte Bier nicht helfen, nehmen Sie Sekt; er erhöht die
Entscheidungsfreudigkeit.

Strategie 7: Wunschdenken
• Errichten Sie einen Stapel mit all Ihren schwer zu identifizierenden
Proben und versprechen sich, später zu ihnen zurückzukehren. Dies
gibt Ihnen eine geschönte Sicht Ihrer Leistungen.

Strategie 8: Die Unvermeidlichen
• Nehmen Sie unbekannte Proben zu Treffen mit und fragen jeden, was
er davon hält.

Wir hoffen, dass diese Ratschläge Ihnen helfen werden, Ihre Abhängigkeit von unnötigen und langatmigen Maßnahmen im Streben nach einer Identifikation - wie der Verwendung von Schlüsseln, chemischen Reaktionen, Dünnschichtchromatographie und die mühevolle Untersuchung von Sporen - zu reduzieren und damit eine Verminderung diagnostizierter Fälle des Flechten-Phobie-Syndroms zu erreichen.

Mike Sutcliffe & Katie Grundy; masutcliffe@hotmail. Korn und k. c.grundy@sms. Ed. ac. uk (übersetzt und verändert von U.K.)

Kommentare 9

  • Franca F. 20. August 2014, 23:14

    Auch wenn ich Pflanzen sehr liebe, verstehe ich
    von der Wunderwelt der Flechten leider nichts,
    doch Deine hervorragenden Aufnahmen mit den
    Erklärungen gefallen mir und sind bewunderungs-
    würdig.!!
    VG Franca
  • MykoPeter 27. Mai 2014, 16:46

    Das Bild bietet einen Lupenblick von beglückender Schönheit! Daneben gibt die Auflistung der acht Strategien schon wertvolle Anregungen zur Vermeidung nervenzerfetzender Bestimmungsarbeit. Mutiert der in Strategie 1 Punkt 2 erwähnte Entschluss dennoch einmal zu unerwarteter Wissbegier, so hilft gelegentlich Strategie 4 (wo allerdings „und Wirth/Kirschbaum“ zu ergänzen wäre), um eventuell in Strategie 7 seinen versöhnlichen Abschluss zu finden. Kurzum: Dies ist schon echte Lebenshilfe!
    Viele Grüße - Peter
  • Maria J. 27. Mai 2014, 13:24


    Sehr ansprechend!
    Nicht nur der Blick in die Becher,
    sondern auch dein Strategischer Ansatz .. ;-)
    Etwas mehr Zeichnung hätte man den hellen Blättchen vielleicht noch gönnen können,
    aber das erhöht natürlich auch das Risiko der Farbverfälschung ... ;-)
    ( Und nur, weil du meine Fotos hier in höchsten Tönen lobst, wage ich diesen leisen Verbesserungsvorschlag ... ;-) )
    Dass hier überhaupt mal ein Foto aus der Rhön auftaucht, empfinde ich übrigens fast schon als mutige Großtat .. ;-))
    Als Mickerexemplar würde ich sie keineswegs bezeichnen ... sie erscheint mir eher sehr üppig gefüllt zu sein und schmückt sich mit recht sehenswerten Apothecien.
    Inwieweit das allerdings dem Lupenobjektiv geschuldet ist, weiß ich natürlich nicht!

    Die Strategien der MLA in Gießen sind sehr hilfreich ... und mir natürlich längst vertraut.
    So kann es also nicht mehr lange dauern,
    bis ich mir auch auf diesem höchst anspruchsvollen wissenschaftlichen Gebiet meine ersten Sporen verdienen werde .. ;-)
    Dabei gehe ich natürlich davon aus, dass du auch weiterhin ein gutes Wort für mich einlegen wirst ... ;-))
    Ich muß nur schnell noch ein paar wichtige Bart-Schlüssel aus der Kalilauge nehmen ...
    und ein paar Vorzeige-Blattflechten aus der chemischen Reinigung abholen ...
    dann stell ich mich dem Tribunal!
    ;-))
  • Ulrich Kirschbaum 27. Mai 2014, 12:14

    @Frank, es ist mein MP-E 65 mm von Canon (welches auch Conny hat), das ich schon viele Jahre besitze (und sehr zufrieden damit bin).
    mfg Ulrich
  • Frank Moser 27. Mai 2014, 10:57

    Die Aufnahme ist bestens - die Schärfe, der Detailreichtum, Licht und Farben ergeben ein ganz tadelloses Bild. Was für ein Lupenobjektiv ist das, von dem Ulrich Schl. da schreibt?
    Über die Ratschläge habe ich mehr als nur geschmunzelt, die seind richtig gut und zeugen von einer gehörigen Portion Kreativität, richtig gelacht habe ich über Ratschlag 2!
    Weiter so! :-)

    Gruß Frank.
  • tiedau-fotos 27. Mai 2014, 9:13

    Herrlich die Drstellung, und die Ratschläge helfen bestimmt weiter.
    Wir waren am Wochenende auch in der Rhön unterweggs - ich (Uli) habe dort zwei Führungen gemacht und dadurch keine zeit zum Fotogrefieren gehabt....
    lieben Gruß Uli + Elke
  • Ulrich Schlaugk 27. Mai 2014, 9:10

    Mit den Bechern zeigst Du, was das Lupenobjektiv kann.
    Meine Anerkennung.
    Der Bequemlichkeit halber neige ich zur Strategie 8 ;-)
    Aber auch Nummer 6 könnte mir zusagen.
    Freundliche Grüße
    Ulrich
  • Conny Wermke 27. Mai 2014, 8:40

    Das sind ja mal konstruktive Ratschläge! Die kann man sicher auch bei der Pilzbestimmung anwenden..wobei Strategie 8 mir durchaus vertraut vorkommt.
    Die Flechte, die Du zeigst ist doch sehenswert, vor allem die Wuchsform.

    LG Conny
  • Karl Böttger (kgb51) 27. Mai 2014, 7:52

    Ein beeindruckend fotografiertes Flechtenmakro.
    Die Anleitung zur Flechtenbestimmung werde ich verinnerlichen. Sie enthält ja auch durchaus Hilfestellungen, die unerwartet sind. Man kann seine negativen Seiten voll ausleben und auch die Leber testen. Danke.
    LG Karl