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Warum die Götter ausgestorben sind

Warum die Götter ausgestorben sind

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Klaus Tesching


Premium (World), hinter den sieben Bergen

Warum die Götter ausgestorben sind


Es war exakt 10:10 Uhr, als der göttliche Ehestreit das endgültige Ende der alten Götter einläutete. Zeus saß mürrisch auf der Couch, sein Blitz in der Hand zuckte gefährlich – wenn auch nur symbolisch. Neben ihm saß Hera, mit verschränkten Armen und einem Ausdruck, der hätte töten können – tatsächlich tat er das manchmal sogar. Ihnen gegenüber der mutige Eheberater, tapfer bewaffnet nur mit Klemmbrett und Kugelschreiber.

„Und Herr Zeus, wie empfinden Sie die aktuelle Situation Ihrer Ehe?“, fragte der Berater vorsichtig, den Kugelschreiber zitternd haltend, bereit, jedes Wort aufzuschreiben.

Zeus grummelte lautstark: „Fragen Sie doch mal diese ständig eifersüchtige Furie neben mir! Wie soll man denn die Welt regieren, wenn man bei jeder winzigen Affäre ein Donnerwetter zu Hause hat?“

Hera verdrehte die Augen und seufzte dramatisch: „Ach ja, winzige Affären nennt man das jetzt? Europa, Io, Danaë – ganz Griechenland kennt inzwischen deine kleinen Abenteuer! Kein Wunder, dass uns niemand mehr ernst nimmt. Und seit Tinder ist es sowieso unerträglich!“

Der Berater räusperte sich höflich: „Also, Kommunikation scheint ein Problem zu sein...“

„Kommunikation?!“ brüllte Zeus donnernd, sodass die Topfpflanze hinter dem Berater vor Schreck ein Blatt verlor. „Ich kommuniziere pausenlos! Ich bin ein Gott, verdammt nochmal, meine Stimme hallt sogar vom Olymp bis hinunter zum verdammten Styx!“

„Vielleicht ist genau das das Problem“, wagte der Berater zu erwidern. „Etwas weniger Donner und etwas mehr Verständnis könnten helfen.“

„Verständnis?!“, keifte Hera. „Ich zeige Verständnis, seit Prometheus das Feuer klaute! Ich zeige Verständnis seit Troja! Ich habe sogar Verständnis gezeigt, als Zeus sich in einen goldenen Regen verwandelt hat, um sich Danaë zu nähern. Glauben Sie mir, nach 3000 Jahren Ehe sind meine Vorräte an Verständnis so leer wie Hermes' Portemonnaie!“

Zeus seufzte tief: „Sehen Sie? Das meine ich. Ewige Vorwürfe. Dabei war es gar nicht so oft... naja, jedenfalls meistens nicht.“

Der Eheberater nickte verständnisvoll. „Vielleicht sollten wir uns überlegen, ob es nicht an der Zeit wäre, neue Wege zu gehen. Vielleicht getrennt?“

Beide Götter sahen ihn fassungslos an, dann plötzlich einigten sie sich spontan – zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Gemeinsam erhoben sie sich und verließen den Raum, entrüstet von der Idee, dass Götter überhaupt „getrennte Wege“ gehen könnten.

Was danach passierte, ist bekannt: Gekränkt und verärgert beschlossen die Götter, sich einfach nicht mehr um die Menschen zu kümmern. Die Gebete verstummten, der Olymp wurde zum Mythos, und die göttliche Eheberatung ging als größte Tragikomödie in die Geschichte ein. Punkt 10:10 Uhr an diesem denkwürdigen Tag erlosch damit endgültig das letzte göttliche Licht – nur wegen einer misslungenen Eheberatung.

Und genau deswegen sind heute die Götter ausgestorben – oder zumindest im Ruhestand, irgendwo, wo niemand mehr Eheberatung vorschlägt.

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