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Erinnerungen an die Hoffnung

Erinnerungen an die Hoffnung

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Rudolf Aloisius Wiese


kostenloses Benutzerkonto, Berlin

Erinnerungen an die Hoffnung

Die 60 Jahre alte Geldbörse meiner Mutter.

Das Portemonnaie meiner Mutter

Ich habe das Portemonnaie meiner Mutter gefunden, 17 Jahre nach ihrem Tod. Jetzt wäre sie hundertundzwei Jahre alt und würde die Euros aus ihrer Geldbörse nehmen. Vorher war es die D-Mark und davor die Reichsmark. Sie sieht immer noch gut aus, diese Börse, vorausgesetzt man mag solche Geldbehälter. Sie ist aus schwarzem Leder, noch hergestellt in Deutschland. Damals gab es kein Outsourcing, keine Produktion im Ausland. Vier Fächer gibt es und einen extra Bereich für Münzen. Es wird verschlossen mit einem verchromten Klippverschluss, einem, der heute noch funktioniert. Kurzlebigkeit wurde damals noch nicht eingebaut, der Bedarf war so groß, dass die Produktion lange ausgelastet war. Es riecht leicht muffig, denn seit ihrem Tode war es in einem großen Umzugskarton verborgen. Es lag zwischen Briefen, einer ihrer Brillen (10 Dioptrien), einem Handbuch für Gebiss-träger, Zeitungsausschnitten vom Papstbesuch in Deutschland, Glanzbildern und Fotos von mir und meiner Frau, Bildpostkarten und Zeichnungen unserer Kinder. Lange wollte ich nichts anrühren, wollte nichts wegwerfen. Man weiß nie, wofür man Erinnerungsbelege benötigt. Eine Reihe von Briefen öffnete ich. Sie gehörten mir, denn es waren Glückwünsche zu meiner ersten Heiligen Kommunion. Rührend, all diese Namen zu lesen, die mir nicht mehr viel sagen. Damals, als Kind, wenn ich mit meiner Mutter durch unseren Ortsteil ging, traf sie den einen oder anderen, erzählte von meinem bevorstehenden Fest. Sie wussten es bereits, denn die kirchlichen Nachrichten hatten es verkündet und sehr viele Menschen gingen nach dem großen Krieg noch in die Kirche. Sie war sonntags gefüllt von der ersten bis zur letzten Bank, so wie heute noch in Polen.
...
Ich erinnere mich noch an meine junge Mutter, als sie nach dem Krieg mit mir einkaufen ging und diesem Geldbeutel die Münzen entnahm: 80 Pfennig für ein angeschobenes Graubrot von Reinecke, dem Bäcker, der sein Brot von einem Kutscher im Ort verkaufen ließ, in vielen Ortsteilen. Oder, wenn wir auf dem Markt waren und Gemüse kauften, Kartoffeln von Herrn Bopp, den wir Kinder Olle Bopp nannten. An der Ecke unserer Straße gab es einen Milchladen. Wir hatten eine große Milchkanne aus Aluminium, mit der ich immer Milch holte. Eines Tages gab es dort auch Joghurt und Negerküsse, wie man sie damals nannte, ohne das Gefühl zu haben, der rassistischen Sprache verpflichtet zu sein. Ich rannte mit meiner Milch nach Hause, erzählte ihr atemlos von diesen leckeren Süßigkeiten. Sie entnahm ihrem schwarzen Portemonnaie 10 Pfennige. Ich lief schnell zurück und kaufte mir zwei dieser Küsse. Schöne zehn Minuten waren das!! Noch einen Tag habe ich im Gedächtnis. Es war ein normaler Tag. Meine Mutter kam von der Arbeit, öffnete ihr Portemonnaie, reichte mir eine große silberfarbene Münze. Ich schaute dieses Geldstück an und sah eine Fünf. Dies war für mich das erste Fünfmarkstück. Wir hatten das Jahr 1951. Sie schenkte es mir und ich fühlte mich reich wie nie. Lange lag es in meiner Schublade. Bei der Umstellung auf den Euro reichte ich es weiter, denn der Sammlerwert versprach keinen Reichtum.

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Brennweite 4.6 mm
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