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3 Sekunden (revisited)

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3 Sekunden (revisited)

heute frisch reingekommen (Juli 20101):

Self im Lift
Self im Lift
Inge Striedinger


es ist schon etwas her:

3 Sekunden
3 Sekunden
† werner weis


und ich fotografierte hier den Ort des Grauens erneut:
- bei Tageslicht
- mit besserem Equipment
- und besser drauf
- und gelassen erinnerte ich:

Ginger White: Die drei Sekunden der Dekadenz

Immer wieder hatte ich auf den Knopf geschlagen, mit letzten Kräften, mir wurde immer blümeranter und ich schlug weiter, immer wieder auf den Knopf - ab dann weiß ich nichts mehr

Ich wachte dann um 2:30 Uhr auf. Meine Digital-Uhr konnte leuchten. Es war stockdunkel. Doch der Schein der Uhr ließ Umrisse erkennen. Ich erkannter eine Kabine. Ich schonte ab dann die Batterie. Ich tastete die Wände und wähnte mich in einem Traum, es wurde mir aber schlagartig klar, dass ich in der Realität weilte.

Das Tasten stellte ich erst nach langer Zeit ein, ich kannte alles auswendig, was hier tastbar war, die glatten kalten Wände, die Erhebungen der Schilder, die verschiedenen Knöpfe, drei groß und platt und einer wie ein Pilz geformt.

Dies war alles kein Problem, aber meine Steifheit war eines, ich konnte mich nur schwer bewegen, immer wieder sackte ich zusammen. Was war geschehen? Ich wusste es nicht.

Allmählich nahm ich die Eiseskälte wahr, es musste unter Null hier sein, vielleicht auch leicht drüber, denn nirgendwo waren Eisblumen tastbar. Anscheinend hatte ich hier alle Zeit der Welt, wenn mein Körper durchhielt.

Ich hatte von einem gelesen, der in eine Kühlhalle bei minus 20 eingeschlossen gewesen war, zwischen 18 Uhr und 6 Uhr des nächsten Morgens, er hatte überlebt, weil er immerzu die 700 Kartons mit den jeweils 25 gefrorenen Hähnchenschenkeln vom einen Ende der Kühlhalle die 20 Meter zum anderen Ende der Kühlhalle geschleppt hatte, um sie dort sauber aufzustapeln, und vice versa. 12 Stunden lang. Er hatte überlebt.

Ich kam auf die Knie, um die Knöpfe zu bedienen, die Knie schienen zu bluten, doch ich fühlte nichts Flüssiges. Es war stockdunkel, ich ließ die Augen geschlossen und tastete.

Ich presste die beiden Hände mit Druck lange auf die Knöpfe, erst auf den ganz oben, dann auf den rechts davon und dann auf den darunter - nix geschah. Dann nahm ich mir den Pilz vor. Ich drückte ausgiebig und ich hatte Schwierigkeiten, er ließ sich nicht drücken, dann drückte ich auf den Füßen stehend, ich weiß nicht mehr, wie ich es schaffte, mich aufzurichten, lange mit der Kraft des vollen Körpereinsatzes, lange, lange, sehr lange...

Irgendwann durchdrückte ich die Blockade dieses Knopfes und er rastete fest ein. Ein paar Leuchtdioden begannen wild zu blinken, sie blinkten immer hektischer und aber auch immer lichtschwächer, dann schmierten sie ab, alles war wieder dunkel und nix war geschehen. Es war kalt.

Ich dachte wieder an den Überlebenden der Kühlhalle und begann damit, mich vollkommen nackt auszuziehen und dann wieder vollkommen anzuziehen, Lederjacke, Hemd, T-Shirt, Boxershorts, Schuhe, Socken, die weiße Levis-Jeans... und wieder von vorne.... ich wurde immer geschmeidiger - 500 Male tat ich dies - oder öfter noch.

Ich hatte zwar weiterhin permanent das Gefühl, überall zu bluten, aber in der Dunkelheit dieser Stahlkabine, sie war wie eine Laffette und ich war das Geschoss, da begann ich zu glühen.

Ich hielt durch, bis 6 Uhr morgens. Ich blieb bei Bewusstsein bis 6 Uhr morgens.

Das Licht ging um 6 Uhr an. Bald kam der Erste. Er war so richtig Scheisse. Er ging weiter zum Zug, er nahm die Treppen.

Um 6:15 Uhr kam eine Frau, sie war in einen Parka und braune Strumpfhosen und einen roten Rock und schwarze Stiefel gekleidet. Sie sah mich und klopfte an das Glas. Sie schrie, dass sie den Zug noch bekommen müsste, sonst...

Doch sie nahm ihr Handy und wählte 112 und sie schrieb mir mit Lippenstift ihre Handy-Nummer auf das Glas.

Dann kamen um 7 Uhr die Sanitäter.

Als ich um 17 Uhr aus der Narkose erwachte, beugte sie sich über mich. Sie hatte ihre Lippen frisch mit dem Lippenstift nachgezogen. Ich sagte nur:
Ich liebe Dich!

Wir küssten uns lange.

Kommentare 16

  • † werner weis 27. Juli 2010, 12:40


    @Elsbeth:
    aber das Ende ist doch gut
  • Elsbeth Feustel 27. Juli 2010, 11:59

    Schmeisst du hier eine Kampagne gegen die Fahrstuhlbenutzung?!
    Das Bild und das Schild wirken noch harmlos aber dann, dann kommt es knüppeldicke, eine "möchte ich mir nicht vorstellen und auch nicht erleben Geschichte"...

    LG Elsbeth
  • Uwe Vollmann 11. Dezember 2009, 11:38

    Hallo Werner, diese Geschichte hat mich fasziniert und mich daran erinnert, dass ich auch mal in einem Fahrstuhl festgehangen bin, allerdings nur ca. eine Stunde und da ich eine sehr gute Freundin bei mir hatte, war es natürlich nicht so schlimm, aber die Knöpfe haben wir auch alle zigmal gedrückt! Dein Bild in Zusammenhang mit Deiner spannenden Geschichte ist wieder einmal sehr beeindruckend!
    LG Uwe
  • Wolfgang Weninger 2. Dezember 2009, 20:55

    das Geschehen nimmt überall seinen Lauf ... die Frage ist immer, ob wir darin stehen oder nur am Rande zusehen ... wir Fotografen sind meistens die Randpersonen ... du nicht :-)
    Servus, Wolfgang
  • F A R N S W O R T H 2. Dezember 2009, 19:42

    Gutes Fundstück und die Story dazu ist ist erstklassig gut !
    gruss, mario
  • Inge Striedinger 2. Dezember 2009, 0:49

    Jetzt werde ich sicher in jedem Lift den ich benutze an diese Geschichte denken .... spannend!
    LG Inge
  • carola röpling 1. Dezember 2009, 20:09

    Also die Vorstellung in einem Aufzug stecken zu bleiben, horrormäßig. Ich würde den ganzen Aufzug auseinanderreißen. Brrrrrrrrrrrr
    Liebe Grüße
    Caro
  • Burkhard Wysekal 30. November 2009, 23:38

    Deswegen bin ich auch auf`s Land gezogen........:-)).
    LG. Burkhard
  • Brigitte Specht 26. November 2009, 21:34

    ....eine Albtraumgeschichte...!
    L.G.Brigitte
  • Ben Weltenbummler 25. November 2009, 20:57

    :-)))))))))
    Das Schild könnte ich derzeit gut gebrauchen, denn ich fühle mich auch ziemlich überlastet. :-))))

    LG Ben
  • Watndat 24. November 2009, 17:09

    Mannomann Werner...
    Deine Geschichte ist der Hammer ....
    Im Fahrstuhl gefangen zu sein ...das Gefühl kenne ich irgendwoher..
    Benutze ..wenn es möglich ist ..lieber die Treppe..
    Lg Klaus
  • † Foto-Volker 24. November 2009, 16:04

    Nun überlege ich es mir, ob ich jemals wieder einen Fahrstuhl benutze. ; - )))
    VG Volker
  • Gisela Aul 24. November 2009, 15:22

    Werner Deine Fantasie ist unerschöpflich gut,ich liebe Deine Geschichten
    lg. Gisela
  • Eva-Maria Nehring 24. November 2009, 14:28

    Mmmm
    mit aufregender Geschichte.....


    Ich denke eher an die 3 Sekunden,die einen Ewigkeit sein können....
    LG Eva
  • Christine Matouschek 24. November 2009, 12:24

    Hölle, Hölle, Hölle.
    Werner das ist teuflich gut.

    Wo immer es möglich ist,
    nehme ich die Treppe.
    Gruß Matou